Radweg mit erhöhtem Risiko
Die Engerthstraße gehört zu den breitesten Straßen der Stadt. Warum gibt es trotzdem kaum Platz für Menschen, die hier zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren?
Text und Fotos: Bernhard Odehnal

„So würde man heute keinen Radweg mehr bauen“. Markus Steenbock steht an der Kreuzung der Engerthstraße mit der Traisengasse im 20. Bezirk und zeigt auf das Asphaltband zwischen Gehsteig, parkenden Autos und Fahrbahn. Der Radweg hier wird in beide Richtungen befahren. Er ist aber nur 1,70 Meter breit. An vielen Stellen wird er noch enger.
Kein Platz zum Ausweichen
Ein Zweirichtigunsradweg auf einer Hauptroute müsste mindestens eine Breite von 3,30 Meter haben, sagt Steenbock, der Sprecher der „Radlobby Brigittenau“. Dazu müsste es noch einen Sicherheitsabstand zu parkenden Autos geben.
Denn wie in so vielen Straßen in der Brigittenau parken die Kraftfahrzeuge hier quer zur Fahrbahn. Und dann ragt hier eine Motorhaube und dort ein Kofferraum weit in den Radweg hinein. Für Radfahrende bleibt kaum Platz zum Ausweichen. Häufig steht ein Auto zwar mit dem Heck noch auf der Straße, aber die Anhängerkupplung ragt in den Radweg hinein – was besonders gefährlich ist: Das kleine schwarze Ding knapp über dem Boden ist in der Dämmerung und in der Nacht kaum zu sehen.
„Breiter als die Ringstraße“
Die Engerthstraße – benannt nach einem Lokomotiv-Konstrukteur in Österreich – verläuft kerzengerade durch die Leopoldstadt und die Brigittenau: Fünf Kilometer, vom Stadion im Prater bis zu Friedrich-Engels-Platz, unterbrochen nur durch die Rampe der Reichsbrücke.
Sie gehört nicht nur zu den längsten, sondern auch zu den breitesten Straßen im dichtverbauten Gebiet Wiens. 28 Meter beträgt der Querschnitt. Davon sind größtenteils 11 Meter für den fließenden Autoverkehr reserviert, das sei laut Steenbock „breiter als die Ringstraße“.
Etwa 10 Meter gehören den parkenden Autos, die hier auf beiden Straßenseiten quer zur Fahrbahn stehen dürfen. Die restlichen sieben Meter müssen sich auf beiden Seiten Radfahrerinnen und Fußgänger teilen. „Das ist weder fair noch zeitgemäß“, sagt Markus Steenbock.

Radfahrer:innen sind nicht die einzige Gruppe mit erhöhtem Risiko auf dieser wichtigen Ost-West-Verbindung. Für Fußgängerinnen und Fußgänger ist die Situation zum Teil noch mühsamer. SUVs und Lieferwagen stehen weit in den Gehsteigbereich hinein. Manchmal ist es kaum möglich, mit einem Rollstuhl oder Kinderwagen vorbeizukommen.
Tod auf dem Zebrastreifen
Auch die Kreuzungsbereiche sind auf die Bedürfnisse des Kfz-Verkehrs zugeschnitten. Erst Anfang April übersah ein LKW-Fahrer beim Einbiegen von der Hellwagstraße in die Engerthstraße eine 73-jährige Fußgängerin, die bei Grün auf dem Zebrastreifen die Straße querte. Die Frau wurde vom Lastwagen erfasst und starb. „Hier müsste der Kurvenradius enger gemacht werden“, sagt Sophie Thiel, Sprecherin der Initiative „Geht-doch.wien“: „An solchen Kreuzungen sollten Autos nur im Schritttempo abbiegen können. Und es braucht eine gute Sichtbeziehung zu Fußgänger:innen, die auf dem Schutzweg queren.“
Gemeinsam haben die Radlobby und „Geht-doch.wien“ ein Konzept für einen Umbau der Engerthstraße erstellt, das den Autoverkehr entschleunigen und mehr Platz für Radfahrende und Fußgänger:innen bieten soll. Im Mittelpunkt stehen dabei der Bau von Einrichtungsradwegen auf beiden Straßenseiten, die Verbreiterung der Gehsteige und Längs- statt Querparkplätze.
Viele freie Garagenplätze
Dass dabei Autoparkplätze verloren gehen, sei unvermeidbar für die gerechte Platzverteilung, sagt Sophie Thiel und zeigt auf ein Transparent an der Fassade eines Gemeindebaus. „Garagenplätze zu vergeben“, steht dort groß. „Es gibt sehr viele freie Plätze in der Umgebung“, sagt Thiel.

Ausschließlich für Autoparkplätze werden auch die bei den kurzen Stücke der Engerthstraße links und rechts der Reichsbrücke genutzt. Hier könnten nach dem Wunsch von Radlobby und „Geht doch“ Fahrradstraßen entstehen, mit Platz für Schanigärten. „Das sind sehr attraktive Räume mit altem Baumbestand“, sagt Markus Steenbock: „Heute werden sie lediglich als Abstellfläche für Autos verwendet. Das ist jammerschade.“
Andere Projekte haben Priorität
Die beiden Lobby-Vereine wollen ihre detailliert ausgearbeiteten Pläne demnächst den Bezirksvorstehungen der Leopoldstadt und der Brigittenau vorstellen. Die Begeisterung dort dürfte sich allerdings in Grenzen halten. Die Situation sei bekannt, sagt Alexander Nikolai, Bezirksvorsteher der Leopoldstadt, „derzeit sind jedoch keine Veränderungen vorgesehen“.
Ein Sprecher der Mobilitätsagentur der Stadt Wien verweist auf den Bau vieler Radwege in den vergangenen fünf Jahren, auch in der Leopoldstadt: „Wir wissen, dass der Radweg auf der Engerthstraße in die Jahre gekommen ist und freuen uns, dass die Radlobby hier aktiv wird.“ Allerdings würden auch aufgrund der budgetären Rahmenbedingungen „andere Projekte auf der Planungsliste weiter oben stehen.“ Die Bezirksvorstehung der Brigittenau antwortet auf die Fragen von „Zwischenbrücken“ nicht.
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.