Von der Nobelherberge zum Abbruchkandidaten
Nur massiver Bürgerprotest konnte die Zerstörung des ehemaligen Hotel National in der Leopoldstadt verhindern. Was wird nun aus dem historisch bedeutenden Gebäude in der Taborstraße?
Text: Bernhard Odehnal
Die lokale Presse kam bei der Eröffnung des neuen Hotels 1848 nicht aus dem Staunen raus. Einen wahren Prachtbau hatten der Architekt Ludwig Förster und sein Schwiegersohn Theophil Hansen in der Leopoldstadt errichtet: 220 Gästezimmer, dazu zum ersten Mal in Wien eine Dachterrasse mit Blumengarten und Springbrunnen. Im Keller eine Dampfmaschine, die nicht nur acht Öfen „eigenthümlicher Konstrukzion“ mit Wärme versorgte, sondern auch noch das Wasser in die oberen Stockwerke pumpte. Und eine „Aufzugmaschine“, die Gäste und Waren nach oben brachte.
Treffpunkt der Künstler
Das „Grand Hotel National“ an der Ecke Taborstraße und Schmelzgasse galt längere Zeit als das größte Hotel Wiens und als eines der nobelsten Europas. Es wurde schnell zum Treffpunkt von „Künstlern und ihrem theaternärrischen Anhang“, wie es in einer zeitgenössischen Darstellung heißt. Die beliebten Theater in der Praterstraße (die damals noch Jägerzeile hieß) waren ja nicht weit entfernt.
Wenige Jahrzehnte später stand die Nobelherberge zwar schon im Schatten der noch nobleren Häuser an der neuen Ringstraße (an deren Bau Förster und Hansen maßgeblich beteiligt waren). Aber das Hotel National behielt seinen guten Ruf und blieb eine beliebte Absteige für vornehme Gäste.
Das rote Wien brauchte Wohnungen
Nach dem ersten Weltkrieg hatte das rote Wien freilich mehr Bedarf an leistbarem Wohnraum als an teuren Hotelzimmern. Ein Großteil der Zimmer im Hotel National wurde deshalb zu Wohnungen umgebaut, auf die Terrasse wurde ein Satteldach aufgesetzt.
Nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland wurde das Hotel enteignet und die „Deutsche Schutzpolizei“ einquartiert. 1945 übernahmen die Sowjets das Haus, und 1957 wurde es dem jüdischen Eigentümer Isidor Gutmann zurückgegeben, der allerdings noch im selben Jahr starb.
Es folgten mehrere Eigentümerwechsel, bis im Jahr 2009 die Barmherzigen Brüder das Haus kauften. Der katholische Orden führt seit Anfang des 17. Jahrhunderts gleich nebenan in der Taborstraße ein Kloster und ein Spital, das auch mittellose und unversicherte Menschen behandelt.
Abrisspläne ohne Vorwarnung
In den ersten Jahren nach Übernahme durch die Ordensbrüder sah es so aus, als würde alles beim Alten bleiben. Das Haus war abgewohnt, es sei nichts repariert worden, aber dafür blieben die Mieten günstig, erinnert sich Stefan Ohrhallinger, der damals eine kleine Wohnung im Gebäude bewohnte und heute Bezirksrat der Partei „Links“ in der Brigittenau ist.
2016 kam der Schock: Die Barmherzigen Brüder wollten ihr Spital erweitern und dafür das ehemalige Hotel National komplett abreißen. „Uns Mietern wurde das aber gar nicht mitgeteilt, wir haben das aus den Medien erfahren“, erinnert sich Ohrhallinger. Er begann sofort, andere Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses zu informieren und Widerstand zu organisieren.
Mieter in Angst
Es begann ein jahrelanger Streit, der von beiden Seiten mit Härte und viel Emotion geführt wurde. Die Mieter sollten mit Druck zum Ausziehen gedrängt werden, und dafür nur ganz geringe Entschädigungen erhalten, erinnert sich Ohrhallinger: „Das Haus wurde wochenlang nicht mehr gereinigt, die Ganglichter fielen auf einmal aus und wurden nicht mehr repariert. Die Leute bekamen richtig Angst“.
Auf der anderen Seite konnte die Bürgerinitiative nicht nur die Medien auf ihre Seite ziehen, auch das Denkmalamt schaltete sich ein – und stellte zumindest die Fassade des Gebäudes und ein Stiegenhaus unter Denkmalschutz. Der Plan eines kompletten Abbruchs war damit vom Tisch.

Im Dezember 2021 flammte der Protest noch einmal auf. Auf einer „Links“-Kundgebung vor dem Haus wurde zur Besetzung des ehemaligen Hotels aufgerufen. Daraus wurde zwar nichts, aber „immerhin haben wir erreicht, dass die letzten Mieterinnen und Mieter für den Auszug ordentlich entschädigt wurden“. Ohrhallinger selbst zog bereits 2020 in eine größere Wohnung. Der Kampf um den Erhalt des Hotel National habe ihn „sehr stark bewegt“, sagt er heute: „Aber wir haben gezeigt, dass wir uns nicht unterkriegen lassen“.
Der letzte Mieter
Heute wirkt das Haus verwaist. Im Erdgeschoß hat eine Filiale der Hartlauer-Kette geöffnet, und angeblich soll noch ein Mieter in einem der oberen Stockwerke wohnen. Was aber, wenn das Haus endgültig leer ist? Wird dann alles – außer der denkmalgeschützten Fassade und einem Stiegenhaus – abgerissen? Oder bleibt es erhalten? Gibt es schon konkrete Pläne? Das wollen die Barmherzigen Brüder nicht verraten. Auf die Anfrage von „Zwischenbrücken“ reagierte die Pressestelle des Ordens nicht.
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.