Wo entstand das weltweit erste Indoor-Skigebiet? In der Brigittenau, in den 1920er Jahren. Der Erfolg hielt sich freilich in Grenzen.
Text: Bernhard Odehnal

„Eine Skihalle für Wien ist überfällig“, betitelte unlängst der Standard einen redaktionellen Kommentar. Denn eine Skination, die ihre Zukunft sichern will, müsse dort ansetzen, wo die Menschen sind – „und das ist nun einmal nicht in 1800 Metern Höhe“, erläuterte der Autor seine Forderung. Dem stimmt auch ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober zu: „Wenn wir wollen, dass die Bevölkerung weiterhin Ski fährt, auch jene im Osten, dann braucht es eine Halle“, erklärte Stadlober in einem Interview, ebenfalls im Standard.
Bahnhof ohne Züge
Skifahren mitten in Wien? So absurd die Idee auch klingen mag: Neu ist sie nicht. Was die gebürtige Salzburgerin Stadlober möglicherweise nicht weiß: Die weltweit erste Skihalle stand in Wien, genauer gesagt in der Brigittenau, an der Grenze zur Leopoldstadt.
Eröffnet wurde die Indoor-Piste im November 1927. Wo heute an der Ecke Taborstraße und Am Tabor drei hohe Wohnhäuser stehen, befand sich damals noch die riesige Halle des Nordwestbahnhofs. Freilich: ungenutzt. Die Nordwestbahn nach Znaim, Iglau und Prag hatte nach dem Zerfall der Monarchie drastisch an Bedeutung verloren. Die wenigen Züge fuhren vom nahen Nordbahnhof ab, die Bahnhofshalle an der Taborstraße war von den Bundesbahnen stillgelegt worden.
Schnee aus Waschsoda
Als Mitte der 1920er Jahre der norwegische Skispringer Dagfin Carlsen mit der Idee einer künstlichen Skipiste nach Wien kam, fand er im Nordwestbahnhof die ideale Location. In die Halle ließ Carlsen ein 17 Meter hohes Holzgerüst mit einer Rampe als Piste errichten. Auf die Rampe wurden Matten aus Kokos gelegt und darauf Kunstschnee, der aus Wasser, Waschsoda und Sägespänen bestand.
Neben der eigentlichen Skipiste gab es noch eine Sprungschanze für Skispringer und eine Rodelbahn mit einem elektrischen Förderband, auf dem die Schlitten wieder hochgezogen wurden. Die gesamten Kosten für den sogenannten „Schneepalast“ sollen 700.000 Schilling betragen haben. Heute wären das etwa 5 Millionen Euro. Als Hauptsponsoren konnte der norwegische Erfinder der Skihalle die steirische Brauerei Puntigamer und das Wiener Kaufhaus Stafa gewinnen.

Dass der Schneepalast gleich Schlagzeilen machte, lag freilich nicht nur an der exotischen Anlage. Nachdem der Wiener Bürgermeister Karl Seitz am 26. November 1927 die Eröffnungsrede gehalten hatte und den Bahnhof verließ, wurde auf ihn geschossen. Seitz blieb unverletzt, der Attentäter wurde verhaftet. Er gehörte einer monarchistischen paramilitärischen Gruppe an.
Atembeschwerden und Juckreiz
In den ersten Wochen nach der Eröffnung stürmten die Wiener die Skihalle. Nicht nur aus sportlichen Gründen. Besonders gut besucht war die Bierhalle am Ende der künstlichen Piste. Man schaute lieber anderen beim Skifahren zu und belustigte sich an den Stürzen.
Die waren freilich nicht ungefährlich. Denn der Kunstschnee aus Waschsoda zerriss leicht die Kleidung, führte zu Abschürfungen. Auch wenn man heil unten ankam, konnte das von einem Briten patentierte Gemisch zu Atembeschwerden und Juckreiz führen. Weil es zudem im Winter 1927/28 keinen Mangel an natürlichem Schnee gab, erlahmte das Interesse des Wiener Publikums an der Skihalle schnell. Bereits drei Monate nach Eröffnung war Betreiber Dagfin Carlsen pleite. Er musste seinen Schneepalast schließen und schließlich im Oktober 2028 die Holzkonstruktion abtragen. Carlsen ging zurück nach Norwegen und starb dort 1945.
Nach dem Schnee die Propaganda
In der Halle des Nordwestbahnhofs wurden nach dem Ende des Ski-Experiments ausrangierte Dampflokomotiven abgestellt. Nach dem Anschluss wurde die Halle mit NS-Propaganda geschmückt, und Hitler, Göring und andere NS-Größen traten auf. Dann zeigten die Nazis hier die antisemitische Ausstellung „Der ewige Jude“.
In den letzten Kriegswochen wurde der Nordwestbahnhof durch Bomben beschädigt und in den 1950er Jahren abgetragen. Das Areal wurde von den Bundesbahnen weiterhin als zentraler Güterbahnhof verwendet, bis vor fünf Jahren. In den kommenden Jahren wird hier ein neuer Stadtteil mit Wohnungen für 16.000 Menschen entstehen.
An die weltweit erste Skihalle erinnern nur mehr ein paar schwarz-weiß Fotos. Sie sind auch auf dem Gelände zu sehen – im temporären Museum Nordwestbahnhof.
Links: https://tracingspaces.net/museum/
Wien Museum: https://magazin.wienmuseum.at/der-schneepalast-1927
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.






