Wie die CIA in der Leopoldstadt Iran überlisten wollte

In der Heinestraße sollten die Iraner vor 25 Jahren manipulierte Atomwaffenpläne erhalten. Der Plan scheiterte an einem russischen Wissenschaftler und dem österreichischen Briefträger.
Text: Bernhard Odehnal
Eine blassgrüne Fassade, ein Glastor, Graffiti an der Wand. Das einzige, was das Haus Heinestraße 19 auszeichnet, ist seine Unauffälligkeit. Nichts deutet heute noch darauf hin, dass hier eine besonders bizarre Episode in der neueren Geschichte der internationalen Spionage spielte. Doch in diesem unscheinbaren Haus mitten in der Leopoldstadt versuchte vor 25 Jahren der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA das iranische Atomwaffenprogramm zu unterwandern.
Das Thema ist bis heute aktuell. Im Juni 2025 bombardierten die USA die unterirdischen Atomanlagen in Fordow, Natans und Isfahan, um dem Iran den Weg zur Entwicklung einer Atombombe für immer zu blockieren. Ob das tatsächlich gelang, ist unklar.
Leises „Plop“ statt mächtiger Explosion
Im Jahr 2000 peilte die CIA dasselbe Ziel an, jedoch auf friedlichem Weg – mit einer besonders gefinkelten List: Die islamische Republik sollte umfassende Baupläne für eine Atombombe erhalten. Allerdings waren diese Pläne in wichtigen Details so verändert worden, dass eine iranische Bombe nicht mit einem mächtigen nuklearen Pilz, sondern höchstens mit leisem „Plop“ explodiert wäre.
Auf diese Weise wollte die CIA die iranischen Atomwissenschafter auf eine falsche Fährte führen, den Bau der Bombe um Jahre verzögern und nebenbei wichtige Informationen über den Stand der iranischen Nukleartechnologie bekommen. Die Operation bekam den Codenamen «Merlin». Sie wurde vom damaligen Präsidenten Bill Clinton genehmigt.
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Als Empfänger für die manipulierten Pläne wählte die CIA die iranische Vertretung bei der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien aus. Die hatte ihr Büro in einer Wohnung im Erdgeschoß in der Heinestraße 19. Die Iraner blieben sehr diskret: Von außen fiel das Büro nur durch massive Eisengitter vor den Fenstern auf. Eine Messingtafel mit Anschrift, wie sie sonst bei diplomatischen Delegationen üblich ist, fehlte hier. An der Gegensprechanlage stand das mysteriöse Kürzel „P.M.Iran“.
Russischer Wissenschaftler als Überbringer
Damit die Iraner nicht erfuhren, woher die Bombenpläne wirklich kamen, heuerten die US-Geheimdienstler als Überbringer einen russischen Wissenschaftler an. Er war einige Jahre zuvor in den Westen übergelaufen und sollte sich bei den Iranern als frustrierter Atomexperte ausgeben, der im Westen sein Wissen zu Geld machen will.
Im Februar 2000 flog der Mann aus den USA nach Wien, mit den Plänen in der Tasche und dem Auftrag, sie in der Leopoldstadt an die Iraner zu verkaufen. Doch in der Heinestraße19 stand der Russe vor verschlossenen Türen. Von der iranischen Delegation war niemand im Büro. Ein Wiener Briefträger, der zufällig vorbeikam, nahm das Kuvert in Empfang und warf es in den Briefschlitz des iranischen Büros. Und der russische Bote der CIA flog zurück nach Washington.
Ein Kuvert in der Heinestraße
War also alles nach Plan verlaufen? Nicht ganz.
Denn zuvor hatte der Russe noch selbst die Pläne studiert, die von der CIA eingebauten Fehler entdeckt und die Iraner in einem eigenen Brief darauf aufmerksam gemacht. Diesen Brief steckte er ebenfalls in das Kuvert. Ob er das aus Unwissenheit über die wahren Pläne der CIA machte oder weil er ein Doppelagent war, wurde nie geklärt.
Ebenso unklar ist bis heute, wo die amerikanisch-manipulierten und russisch-korrigierten Atombombenpläne letztendlich landeten, und ob sie den Iranern von Nutzen waren. Dass die Amerikaner dazu keine Informationen mehr erhielten, hing mit einem weiteren Missgeschick der Nachrichtendienste zusammen.

Im Jahr 2004 schickte eine CIA-Mitarbeiterin in einer Mail an einen Agenten in Teheran irrtümlich die Koordinaten sämtlicher Spione und Vertrauensleute im Iran mit. Dummerweise war der Adressat der Mail ein Doppelagent. Er benachrichtigte sofort den iranischen Geheimdienst. Und der reagierte mit Dutzenden Verhaftungen und der Zerschlagung des ohnehin nicht sehr dichten amerikanischen Spionagenetzes in der Islamischen Republik.
Enthüllung der „Operation Merlin“
Das peinliche Scheitern der Operation „Merlin“ wurde erst sechs Jahre später durch den amerikanischen Journalisten und Pulitzer-Preisträger James Risen im Buch „State of War: The Secret History of the CIA and the Bush Administration“ aufgedeckt (Deutsche Übersetzung: „State of War: Die geheime Geschichte der CIA und der Bush-Administration“, Hoffmann und Campe, 2006). Die CIA äußerte sich dazu nie.
Die iranische Delegation bei der IAEA residierte noch längere Zeit hinter vergitterten Fenstern in der Heinestraße. Dann übersiedelte sie in den 22. Bezirk. In der Heinestraße hinterließen die Iraner keine Spuren. Die Fenstergitter wurden abmontiert, das Schild mit der mysteriösen Aufschrift „P.M.Iran“ ebenso.
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.