Ein Erinnerungsort, wo einst die Nazis jubelten
Durch die Trunnerstraße fuhren Hitler, Göring und Goebbels zu ihren Auftritten im Nordwestbahnhof. Heute erinnert hier ein Park an eine von den Nazis ermordete jüdische Schriftstellerin.
Text: Bernhard Odehnal
Sein Auftritt war minutiös geplant. Am 9. April 1938 kam Adolf Hitler zum zweiten Mal nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland nach Wien. Es war der Tag vor der sogenannten „Volksabstimmung“, mit der Österreichs Bevölkerung ihr Ja zur Vereinigung mit dem Großdeutschen Reich geben sollte. Nach dem Aufmarsch von Wehrmacht, Musikkapellen und Sportvereinen trat der Führer um 20 Uhr im Nordwestbahnhof auf – der damals größten Bahnhofshalle Wiens.
Symbole der Macht und des Terrors
Als Personenbahnhof war der riesige Bau in der Brigittenau schon länger nicht mehr in Verwendung. Für die Veranstaltungen der Nazis wurde die Halle zusätzlich umgebaut, die Prellböcke entfernt und die Gleise zugeschüttet. Und nicht nur das Gebäude selbst, auch das Umfeld wurde für die faschistische Propagandashow adaptiert.
Entlang der Trunnerstraße, die direkt vor das Bahnhofsportal führte, wurden in dichten Abständen etwa 8 Meter hohe, mit Eichenlaub geschmückte Säulen aufgestellt, auf den Spitzen Würfel mit Hakenkreuzen. Es war ein Spalier der Macht und der Einschüchterung, vor allem für die im angrenzenden Volkert- und Alliiertenviertel lebende jüdische Bevölkerung. Es waren die Vorboten des kommenden Terrors. An jenem 9. April standen sicherlich hunderte Polizisten, Militärs und Zivilisten unter den Säulen entlang der Trunnerstraße und jubelten der Autokolonne des Diktators zu.
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Hitler war nicht der erste, der durch diese Hakenkreuzallee fuhr. Zuvor waren Ende März schon Hermann Göring und Joseph Goebbels im Nordwestbahnhof aufgetreten. Nach der Abstimmung wurde die Halle für die antisemitische Ausstellung „Der ewige Jude“ adaptiert. Wer im Sommer 1938 durch die Trunnerstraße ging, lief direkt auf ein riesiges Werbeplakat auf der Bahnhofsfassade zu, das alle antisemitischen Vorurteile vereinigte: Auf knallgelbem Hintergrund die schwarze Gestalt eines alten Juden als geldgieriger Geißel der Menschheit und Agent des Kommunismus.
Wohnraum war wichtiger als ein historischer Bahnhof
Einige Gebäude entlang der Trunnerstraße haben den Krieg unbeschadet überlebt. Die evangelische Kirche (im Bild links) ist nach wie vor eine evangelische Kirche. Die landwirtschaftlich-chemische Versuchsanstalt (nicht im Bild) ist heute ein Wohnhaus. Die Halle des Nordwestbahnhofs wurde ab 1944 mehrmals bombardiert und nach dem Krieg abgetragen. Heute stehen in der Blickachse ein Gemeindebau, nach dem Komponisten Frederic Chopin benannt und drei Eisenbahner-Wohnhäuser. Im kriegszerstörten Wien waren neue Wohnungen wichtiger als der Erhalt eines historischen Bahnhofs.
Zu Beginn der 1960er Jahre wurde die Straßenbahnlinie 5 in den parallel verlaufenden Straßenzug Am Tabor verlegt. Die Trunnerstraße wurde zur Seitengasse mit vielen Parkplätzen und einem Beserlpark degradiert.
Protest gegen den Bau einer Tiefgarage
In den 2000er Jahren sollte unter diesem Park eine Tiefgarage gebaut werden, was der massive Protest einer Bürgerinitiative verhinderte. Nach einem längeren Bürger:innen-Beteiligungsverfahren wurde 2019 unter der grünen Bezirksvorstehung ein Teil der Straße entsiegelt, der Park erweitert und durch einen Spielplatz ergänzt.
Die einstige Aufmarsch-Allee der Nazis ist jetzt eine Grün-Oase im dichtverbauten Gebiet. Benannt ist der Park nach Else Feldmann, einer jüdischen Schriftstellerin und Journalistin, die 1942 im Vernichtungslager Sobibor starb.
Wie die Nazis den Bahnhof für ihre Propaganda missbrauchten, ist ausführlich dokumentiert im Buch von Bernhard Hachleitner, Michael Zinganel und Michael Hieslmair: “Blinder Fleck Nordwestbahnhof”, Falter-Verlag, Wien 2022.
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.