So lebte Christine Nöstlinger in der Brigittenau
Die berühmte Autorin lebte bis zu ihrem Tod in einer Dachwohnung nahe des Hannovermarkts. Kinderbücher schrieb sie hier keine mehr, Interviews gab sie aber noch einige.
Text: Bernhard Odehnal

Die Umgebung ist so, wie sie die Schriftstellerin wohl am liebsten hatte. Und wie sie es so ähnlich in vielen ihrer Bücher beschrieben hat: Gleich um die Ecke der schillernde, laute und multikulturelle Hannovermarkt. Gegenüber ein Gemeindebau aus den 1960er Jahren, vor dem Kinder spielen. Im Haus selbst zwei Boutiquen. Die eine hat glitzernde Brautkleider in der Auslage, die andere bunte Schachteln und kaukasische Trachten. Dazwischen der Eingang in den Altbau.
Ärger über Taubennester
Hier also lebte Christine Nöstlinger. In der Othmargasse, im obersten Stockwerk. Das Dachgeschoß wurde erst in diesem Jahrhundert zu Wohnraum ausgebaut, die Decken sind deutlich niedriger als in den Altbauwohnungen darunter. Dafür hatte Nöstlingers Domizil eine Terrasse, von der aus die Schriftstellerin den Flakturm im Augarten und das Riesenrad sehen konnte.
Sie liebe das Gefühl, „die Letzte im Haus zu sein“, beschrieb Nöstlinger ihre letzte Wiener Wohnung in einer 2012 erschienenen Immobilienkolumne im „Standard“: „Dass über mir nur noch Himmel ist. Ich will nicht, dass irgendwer über meinem Kopf marschiert und ich seine Tritte höre.“ Über die Tauben, die vor ihren Fenstern nisten wollten, soll sie sich allerdings häufig geärgert haben.
Zuletzt verstand sie Kinder nicht mehr
Die 1936 in bescheidenen Verhältnissen in Hernals geborene Nöstlinger wohnte im Laufe ihres Lebens an vielen Adressen in Wien, darunter in mehreren Dachwohnungen. Als sie schließlich 2008 in die Brigittenau zog, war sie schon lebende Legende. Sie hatte über 100 Bücher für Kinder und Jugendliche veröffentlicht, die auch in zahlreichen Übersetzungen erschienen. Von der feuerroten Friederike bis zum Franz: Die Heldinnen und Helden ihrer Bücher waren der Autorin sehr ähnlich – bodenständig, schlagfertig, unangepasst, manchmal auch anstrengend.
Nöstlinger wurde mit unzähligen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet. Viele ihrer Bücher wurden verfilmt. In ihrer Brigittenauer Zeit schrieb sie allerdings kaum noch Kinderbücher. Es sei alles sehr, sehr anders geworden und sie verstehe es nicht mehr, klagte sie in einem Interview mit dem Magazin „News“: „Wie soll ich denn wissen, was Kinder bewegt, wenn sie einen halben Tag lang über dem Smartphone sitzen und irgendetwas mit zwei Daumen drauf tun?“

Zu dieser Zeit war Nöstlinger gesundheitlich schon ziemlich angeschlagen, konnte sich nur noch mit Hilfe eines Rollators in der Wohnung bewegen. Sie gab aber immer noch Interviews über ihr Leben und sagte ihre Meinung zum Zustand des Landes und der Welt. Und so gingen in ihren letzten Lebensjahren viele Journalistinnen und Journalisten im Haus nahe des Hannovermarkts ein und aus – was dann auch in so manchem Bericht beschrieben wurde.
Buchstabenfabrik im 20. Bezirk
Christine Nöstlinger starb Ende Juni 2018. Ihre Familie machte den Tod erst nach ihrem Begräbnis auf dem Hernalser Friedhof bekannt. Die Stadt Wien hat eine Straße in Floridsdorf, einen Park und einen Gemeindebau in Hernals, sowie den Bildungscampus im Nordbahnviertel nach ihr benannt. In der Rauscherstraße beim Augarten verwalten die beiden Töchter in der „Buchstabenfabrik“ ihren Nachlass.
An der Wohnungstür in der Othmargasse steht immer noch ihr Name. Handgeschrieben. Sonst erinnert hier nichts mehr an die Brigittenauer Jahre der berühmten Schriftstellerin.
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.