In einem unscheinbaren Ecklokal in der Leopoldstadt stellt Laurent Pfeifer selbst Kaffee her. Sein „Beandependent“ wurde sogar zum Geheimtipp für internationale Kaffeeliebhaber.
Text: Bernhard Odehnal

Die Ecke hatte ihn schon immer fasziniert. Jeden Tag, wenn er daran vorbei ging, dachte Laurent Pfeifer: „Hier würde ich gerne meinen Coffeeshop aufmachen“. So ganz offensichtlich war dieser Wunsch auf den ersten Blick allerdings nicht. Auf den zweiten auch nicht.
Das Volkertviertel in der Leopoldstadt ist an sich schon kein Ort, der Menschen anlockt, die nicht hier wohnen. Und die Ecke Lessinggasse und Vereinsgasse ist es erst recht nicht. Deshalb war es kaum überraschend, dass der Friseur, der hier einst Haare schnitt, vor längerer Zeit zusperren musste und das Lokal lange leer stand.
An der Kaffeemaschine hängengeblieben
Pfeifer aber spürte Potenzial. Der gebürtige Tiroler war 2009 nach Wien gekommen, hatte als Kellner begonnen und war irgendwie an der Kaffeemaschine hängengeblieben. Als ihm das erste Mal eine „Latte Art“ gelang – also die kreative Verzierung der Milchschaumoberfläche – da spürte er, dass Kaffee sein Schicksal sein würde.
Wien, sagt der heute 35-jährige, brachte ihm Unabhängigkeit. Er tauchte in die „Independent coffee“-Szene ein, die als Antwort auf die großen Ketten wie Starbucks entstanden war. Aber letztendlich sah er auch, dass er vom Rohstoff abhängig blieb. Ohne Bohne kein Kaffee. Und so kam Pfeifer auf den Namen: „Beandependent“.
Hilfe durch die Grätzelförderung
Seit 2017 wohnt Pfeifer im Volkertviertel. Jahrelang ging er an dem verwaisten und versperrten Lokal vorbei und dachte jedes Mal: Der Eingang direkt am Eck, die großen Fenster – was für eine Location für einen Coffeeshop! Und dann stand es plötzlich auf „Willhaben“. Zu einem halbwegs leistbaren Preis, wobei hier auch die Grätzelförderung der Stadt Wien gute Dienste leistete. Bevor Pfeifer das Lokal übernehmen konnten, mussten jedoch erst einmal Wände trockengelegt, Schimmel entfernt, Fenster erneuert werden.
Mit der Sanierung alleine war es nicht getan. Pfeifer wollte nicht einfach Kaffee verkaufen. Er wollte „seinen“ Kaffee verkaufen. Die Bohnen von ihm selbst ausgesucht und bei Kooperativen seines Vertrauens bestellt. Und dann von ihm selbst in Chargen zu je einem Kilo geröstet. Für ihn habe das auch mit Respekt gegenüber jenen zu tun, die in den Anbauländern die Bohnen anbauen und aufbereiten, sagt Pfeifer: „Ich möchte nicht, dass Kaffee in unserer Gesellschaft einfach zum Lifestyle-Produkt verkommt.“
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„Die Tyrannei des Algorithmus: Warum alle Coffee Shops gleich aussehen“. So titelte der britische Guardianeine Reportage über die Gleichförmigkeit der Barista-Tempel zwischen Bombay und Seattle: Überall Holzböden und Holztische, Aluminiumstühle, kühle Fließen und bunte Glühbirnen, die für warmes Licht sorgen. Instagram habe für ein weltweites Einheits-Kaffeehaus gesorgt, so sinngemäß die britische Journalistin.
Das Beandependet in der Wiener Leopoldstadt kann mit diesem Vorwurf nicht gemeint sein. Schon deshalb, weil es hier kaum Einrichtung gibt. Der große Raum ist vor allem – leer. Es gibt eine Theke, eher klein, und vier Tische, noch kleiner. Wer seinen Kaffee im Sitzen genießen will, kann das am besten in den Fensternischen oder auf einer himmelblauen Plastikbank.
Geröstet wird an Wochenenden
Mehr Platz nimmt ein schwarzer Kessel ein, von dem silberne Schläuche zu einer schwarzen Box führen. Es sieht ein wenig aus wie eine Konstruktion aus Terry Gilliams utopischem Film „Brazil“. Bloß, dass hier nichts mysteriöses passiert. Es ist schlicht und einfach eine Rösttrommel. Geheizt wird sie mit Induktion und die Abluft wird durch die silbernen Röhren in eine Box geleitet, wo Filter die Rauchpartikel und den Feinstaub fangen.
„Ziemlich teuer“ sei die Apparatur gewesen, sagt Pfeifer. Aber die Investition habe sich gelohnt. Jedes Wochenende steht er nun im Lokal und röstet seinen Kaffee. Montag bis Freitag schenkt er ihn selbst aus. Als Espresso, Melange, Macchiato und was es sonst noch so alles gibt. Oder er verkauft er die Bohnen in grauen oder hellblauen Packungen.

Bedenken über die auf den ersten Blick wenig attraktive Lage habe er nie gehabt, sagt Pfeifer. Er habe genau deshalb hierher wollen, „um ein Grätzel aufzuwecken“. Und wie würde das besser gelingen als mit Kaffee?
Als Glücksfall erwies sich der Standort inmitten eines Schulclusters: In unmittelbarer Umgebung des Beandependent liegen mehrere Kindergärten, eine Volksschule, eine Mittelschule und ein großes Gymnasium. Lehrerinnen und Lehrer kommen vor acht Uhr für einen schnellen Morgenkaffee vor Unterrichtsbeginn, die Eltern der Volksschüler kommen danach und haben meistens auch noch Zeit für ein Stück Kuchen und eine Plauderei.
Beandependent für Kaffeetouristen
Doch die Kundschaft kommt längst nicht mehr nur aus der Nachbarschaft. Es gebe als App und Internetseite den „European Coffee Trip“, sagt Pfeifer: Ein Europaführer für Kaffeeaficionados. „In der Kombination mit Google-Suche zieht das viele Touristen an“. Unlängst habe sich ein Paar aus den USA direkt vom Flughafen mit dem Taxi zu ihm bringen lassen: „Die konnten es gar nicht erwarten, meinen Kaffee zu trinken.“
BEANDEPENDENT
Coffeeshop, 1020, Lessinggasse 19
Mo bis Fr, 07:30 bis 15:00
Insta: get.beandependent
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.