Musik für die letzten Lücken der Stadt
Der Medienkünstler Oliver Hangl kommt mit seinem Baulücken-Konzert auf das Gelände des Nordwestbahnhofs. Möglicherweise zum letzten Mal
Text: Bernhard Odehnal

Er wolle das Publikum zum Nachdenken bringen, sagt Oliver Hangl: „Was war hier früher? Was ist jetzt? Und was wird in Zukunft sein?“. Deshalb organisiert der 57-jährige Medienkünstler seit acht Jahren in Wien die „Baulücken-Konzerte“. Hangl bringt bekannte Szenebands und Newcomer auf die letzten Industriebrachen der Stadt.
Dieses Jahr war er schon auf dem riesigen Asphaltfeld im dritten Bezirk, wo die Stadt irgendwann die Eventhalle „Neu Marx“ bauen will. Und am 20. Juni tritt die Wiener Musikerin Kässy in der Brigittenau am Gelände des Nordwestbahnhofs auf, vor der ehemaligen Busgarage. Der Besuch ist kostenlos, allerdings ist der Platz beschränkt. Hangl will nicht ausschließen, „dass wir Leute wegschicken müssen, wenn zu viele kommen“.
Die Baulücken-Konzerte sind nämlich längst kein Geheimtipp mehr. Der „Standard“ attestierte Hangl eine bemerkenswerte Expertise „beim Bespielen des öffentlichen Raums“ und nannte ihn einen „wichtigen Lückenfüller“. Trotzdem ist Hangl selbst immer wieder überrascht, wie viele Menschen zum Beispiel in Neu Marx die österreichische Band „Oehl“ hören wollten.
Mit Hermes Phettberg auf der Bühne
Hangl ist gebürtiger Oberösterreicher. Sein Büro liegt im siebenten Bezirk. Doch zur Leopoldstadt und der Brigittenau hat er eine besondere Beziehung. Nachdem eine Verletzung die geplante Karriere als Turniertänzer verhinderte, wurde er in Wien Produktionsleiter der von Kurt Palm gegründeten Theatergruppe „Sparverein Die Unzertrennlichen“. So war er auch dabei, als Palm im November 1994 im KPÖ-Haus auf dem Höchstädtplatz die „Nette Leit Show“ auf die Bühne brachte. Josef Fenz alias Hermes Phettberg stieg damit zur Wiener Kultfigur auf. Hangl stand als Phettbergs Diener „Robin“ auf der Bühne.
Mit Wehmut erinnert er sich heute noch an den Schütte-Lihotzky-Saal, in dem er mit Phettberg auftrat. Der Holzboden, die Bühne, alles atmete Geschichte. Heute steht das Haus in der Brigittenau leer. Angeblich soll der Saal durch Umbauten verunstaltet worden sein.

Sein erstes Baulücken-Konzert veranstaltete Hangl 2017. In der Leopoldstadt, vor der Nordbahnhalle, einer zur kulturellen Zwischennutzung freigegeben Lagerhalle im Nordbahnviertel. Damals trat der Wiener Musiker „Fuzzman“ auf und „es war großartig“, erinnert sich Hangl. Die Nordbahnhalle war später den Ausbauplänen der Wiener Linien und einem Hochhaus im Weg. Tragischerweise brannte sie dann auch noch ab.
Keine Bühne, aber guter Ton
Hangl fand andere Orte. Einmal in der Bruno-Marek-Allee vor dem Taborama, als das Hochhaus noch in Bau war. Dann mehrere Male auf dem Gelände des Nordwestbahnhofs. „Ich bringe die Menschen an Orte, die es bald so nicht mehr geben wird“, sagt Hangl. Attwenger spielten für ihn, Clara Luzia und Ernst Molden. Bühne gibt es keine, aber immer eine sehr gute Tonanlage.
Was dann am Konzertabend nach lockerer Improvisation aussieht, ist das Ergebnis gründlicher Vorbereitung, die bis zu einem halben Jahr dauern kann. Behördliche Bewilligungen müssen eingeholt, Lärmgutachten erstellt, mobile Toiletten und Security organisiert werden. Kommen über 1.000 Besucher – ja, auch das kommt vor –, dann muss ein Ambulanzwagen bereit stehen.
Guerillawalk in der Brigittenau
Eigentümer von Baulücken sind von solchen Aktionen selten begeistert. Auf privaten Flächen sei das deshalb auch kaum durchzuführen, sagt Hangl.
Auf noch mehr Skepsis stoßen seine Guerillawalks. Da geht er mit einer Gruppe Interessierter durch ein Grätzl und stellt Passanten und Anrainern spontane Fragen: Wie geht es Ihnen? Was stört Sie an ihrer Umgebung, was gefällt Ihnen? Zuletzt wanderte er im Mai durch das Grätzl rund um den Millenium Tower in der Brigittenau. Dass Hangl auch eine Leiter mitführt und ungebeten zu Menschen hinaufsteigt, die im 1. Stock auf ihrem Balkon sitzen, sorgt mitunter für Irritationen. Drohungen habe er schon bekommen, sagt der Künstler. Zu tätlichen Angriffen sei es aber noch nie gekommen.
Immer weniger Brachen
Ob er auch im kommenden Jahr ein Baulücken-Konzert auf dem Areal des Nordwestbahnhofs organisieren kann, weiß Hangl noch nicht. Auf der anderen Seite des Geländes reißen die Bagger bereits die alten Güterhallen ab und graben sich ins Erdreich. In ein paar Jahren wird hier ein neuer Stadtteil entstehen. „Ich verliere immer mehr Brachen“, sagt Oliver Hangl und fügt hinzu: „Aber es gibt noch viele, besonders an den Rändern der Stadt. Mein Publikum ist bereit, weit zu reisen.“
Baulücken-Konzert. 20.Juni, 19 Uhr: KÄSSY
1200, Nordwestbahnstraße 16
https://www.oliverhangl.com/projects/talks-audioworks-music/bauluecken-konzerte/bauluecken-konzerte-2025.html
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.