Der Architekt Gregor Eichinger gestaltete einige der beliebtesten Lokale in der Leopoldstadt. Eine Spurensuche in der Praterstraße.
Text: Isabella Marboe, Fotos: Christopher Mavrič

Auf Gregor Eichingers Schreibtisch stapeln sich kegelförmige Hüte. Der Architekt macht daraus Stehlampen. Die Hüte kommen von der Manufaktur Mühlbauer. Ihre Ränder haben Magnete und haften so an dem schwarzen Stahlring des Stehers.
Allein oder zu zweit, aus Stroh geflochten oder aus Filz, durchlöchert oder nicht, geben die Hut-Lampen unterschiedliches Licht und sehen in jeder Kombination anders aus. „Man kann sie magnetisch konfigurieren und auch als Hut aufsetzen“, erklärt Eichinger. „Bubi Hat Lamp“ heißt diese Lampe. „Bubi“ verweist auf den Bubikopf, in dem sich die gesellschaftliche Revolution der 1920er Jahre manifestierte. Für Eichinger war es „der Beginn der Moderne“. Namen sind ihm wichtig. An manchen brütet er monatelang.
„eichinger oder knechtl“
Unter dem Label „eok“ schrieb Gregor Eichinger mit seinem damaligen Partner Christian Knechtl ein Stück Wiener Designgeschichte. Von Mitte der 1980er Jahre bis zu ihrer Trennung 2005 gestalteten „eichinger oder knechtl“ Lokale, die heute noch ikonisch sind. Das Café Stein (1985), die Bar Ron Con Soda (1994), die Weinhandlung Unger & Klein (1992), das Palmenhaus (1998). Ihr Büro lag am Schwedenplatz. „Das war ein ehemaliges Aussichtscafé“, erinnert sich Eichinger. Von dort konnte er in den zweiten Bezirk hinübersehen. Der ist für ihn mit Prater und Donauauen die „wilde Ecke“ Wiens geblieben. Eine Ecke, in der er heute lebt und arbeitet.
Das Büro von „eichinger offices“ befindet sich im Mezzanin der Praterstraße 33, dem sogenannten „Alliiertenhof“. Auch in dem 1896 erbauten Spätgründerzeithaus war einmal ein Kaffeehaus. Das „Theatercafé“ vermutet Eichinger, denn im Nebenhaus befand sich das Carltheater.
Langstielige Lilien im Büro
In diesem Büro beginnt unsere kleine Tour zu Eichinger-Architektur in unmittelbarer Nachbarschaft. „Gehen wir in die Babsi-Bar!“, sagt Eichinger. Es klingt nach einer Institution, nur ein Stockwerk unterhalb von „eichinger offices“. Im kleinen Raum neben dem Café im Erdgeschoss befand sich in den ersten Jahren des Hauses ein sogenannter „Damensalon“. Denn Damen waren damals in Kaffeehäusern nicht geduldet. Für sie gab es den Salon. Heute steht auf der Glasscheibe des Gassenlokals die Aufforderung: „Bring your friends & bring your fingers“. Auf der bodennahen Fensterbank stehen sind zwei üppige Blumensträuße, deren Farben in der Sonne satt leuchten. Auch in Eichingers Büro stehen Blumen. An diesem grauen Herbsttag sind es langstielige Lilien.
„Seit etwa 15 Jahren bekomme ich jeden Montag frische Blumen“, sagt Eichinger. Die Floristin Christine Fink stiftet sie. Ihre Blumenhandlung auf der Wieden wurde durch die Gestaltung von eichinger oder knechtl (1999) zum Kult. Für den Namen „Blumenkraft“, der Eichinger einfiel, revanchierte sie sich mit „Babsi“. Der Name der Bar steht allerdings nirgendwo. „Alle, die vorbeigehen, wissen es“, sagt Eichinger. Barbetrieb ist, „wann immer ich da bin.“
Eine Bar macht eine Stadt
„Die ,Babsi Bar’ ist eine Bretterbar. Sie ist der Start jedes städtischen Netzwerks“, erklärt der Architekt. „Ein Wirtshaus macht noch keine Stadt, auch ein Kaffeehaus muss noch keine Stadt machen. Eine Bar aber ganz sicher.“ Das Interieur ist einfach, aber bedeutungsvoll. Der Holztisch aus groben Latten war 2006 schon auf der Architekturbiennale in Venedig und ist sehr robust. Das muss er auch sein. Hier zahlt man nämlich seine Getränke mit Musik. Da wird dann die rückwärtige Stirnwand zur Projektionsfläche für Musikvideos und der Tisch zum Tanzboden.

Schräg gegenüber des Alliiertenhofs steht ein imposantes Gebäude an der Grenze von Historismus und Jugendstil. Der vom Architekten Oskar Marmorek entworfene Nestroyhof wurde 1898 eröffnet. Im Erdgeschoss war das Café Reklame, im Keller die „Tanzbar Sphinx“, eine der beliebtesten Nachtbars dieser Zeit. 1904 begann mit dem „Intimen Theater“ die Theatergeschichte des Hauses, wo Stücke von Maxim Gorki, August Strindberg oder Frank Wedekind erstmals in Österreich aufgeführt wurden.
Nach der Enteignung durch die Nazis 1938 verfiel der Theatersaal und wurde nur mehr als Lager benutzt. Erst 2009 reaktivierte man ihn in seiner ursprünglichen Funktion. Gregor Eichinger brachte sehr behutsam den Charakter des Raumes unter der Glasdecke mit seinen stuckverbrämten Galerien wieder zum Vorschein und rüsteten ihn mit Theaterinfrastruktur aus. Auch das Foyer gestaltete er neu.
Mehr Raum für das Ansari
Wir verlassen den Nestroyhof und schlendern stadteinwärts. Denn hier, entlang des schmalen Stücks der Praterstraße, ist die Dichte an Eichinger-Projekten besonders hoch. Das Café Ansari war ursprünglich nur halb so groß. Aber eine Analyse hat ergeben, dass das Café unbedingt einen Raum mehr braucht“, sagt Eichinger, der großen Wert darauf legt, dass er Innenräume mit den Mitteln der Architektur löst.

Also: erst eine fundierte Raumanalyse, dann der Rest. Da sind mitunter massive statische Eingriffe inkludiert. Im Ansari war es ein Raum dazu, weil „das Hinterland mit Küche ist drei Mal so groß.“ Die ist hier übrigens weiß-grün verfließt, nicht klinisch. Den opulenten Rest in den Gasträumen und stillen Örtchen studiert man am besten genußvoll vor Ort.
Zwei paar Häuser weiter vorne das „Song.“ Die geheimnisvolle Schaufenstergestaltung mit dem eingeschnittenen runden Kreis, der einen Schlüssellochblick ins Geschäft erlaubt, ist von Hermann Czech. Das Innere gestaltete Gregor Eichinger sehr einfach, schon an der Tür zeigt sich sein Humor: eine goldene Hand, im Stil des 19. Jhdt. gezeichnet, weist auf einen Klingelknopf aus Messing: Hier muss man läuten, um eingelassen zu werden.

Letzte Station unserer Runde und Nummer eins auf der Praterstraße: das vormalige Hotel „Sofitel Vienna“, das heute „SO/Vienna“ heißt. Der französische Stararchitekt Jean Nouvel hatte es in radikaler Konsequenz gestaltet: die Zimmer waren je nach Himmelsrichtung monochrom weiß, grau und schwarz. Nouvels Gestaltungswille reichte bis zum Blumenschmuck: angeblich nur eine Sorte täglich, im ganzen Haus.
Offensichtlich befolgt man das nicht mehr. Mit der Zeit wurde das plastikähnliche Material der Hocker und Möbel fast schon filzig. „Diese gummiartigen Oberflächen waren einfach nicht zu putzen“, sagt Gregor Eichinger. Er wurde mit dem Relaunch beauftragt, akzeptierte die Grundidee der Monochromie, veränderte aber die Materialien und setzte farbige Akzente mit Lokalkolorit.

Schaltet man, zum Beispiel, heute die Lampen ein, so zeigt sich in deren weißen Schirmen ein Muster der Wiener Werkstätte. In die weißen Sofas der weißen Zimmer ist ein oranger Farbverlauf eingewebt, die schwarzen Räume wurden mit dunklem, satten Blau aufgepeppt. Auch der Bar unter dem leuchtenden Baldachin von Pipilotti Rist hat Eichinger mit reflektierendem Glas, neuer Beleuchtung und Leder etwas mehr Glamour verliehen. Schließlich ist sie der Quell von vielem und ein Fluidum des Städtischen.

Isabella Marboe
Isabella Marboe lebt, arbeitet und zeichnet als freie Architekturjournalistin in Wien. Sie betreibt den Blog www.genau.im, schreibt unter anderen für das „Spectrum“ der Presse und „die Furche“ und lehrt am Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien.






