Im „Pioniergebiet” in der Leopoldstadt probt die Wien Energie im Kleinen, wie der Ausstieg aus Gasheizungen gelingen kann. Erste Erkenntnisse zeigen jedoch sehr viele Hürden und Stolpersteine.
Text: Dominik Ritter-Wurnig

„So wird das nix mit der Energiewende”, schreibt Leser Martin Schiller-Pröhl in einer Email an die Zwischenbrücken-Redaktion. Er ärgert sich. Eigentlich würde er gerne raus aus Gas, weniger abhängig sein von Energieimporten und die Heizung dekarbonisieren. Aber das Angebot der Fernwärme war für die Wohnungseigentümergemeinschaft in der Marinelligasse kaum umsetzbar.
Keine Zeit für Entscheidung
Obwohl Wien Energie die dicken schwarzen Fernwärmerohre direkt vor seiner Wohnung vergräbt, haben er und die anderen Wohnungseigentümer sich gegen den Anschluss an die Fernwärme entschieden. Im Mai wurden die Bewohner per Flyer von Wien Energie informiert, aber schon bis Mitte Juni hätten sie über die kostspielige Investition entscheiden müssen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft hätte mehr Zeit zur Planung und Entscheidung gebraucht.
Mit 25.000 Euro sind die pauschalen Anschlusskosten für Wohngebäude moderat, aber der erste Stolperstein in dem unsanierten Altbau in der Marinelligasse war der fehlende 15 Quadratmeter große Raum für die Hausstation. Hinzu kommen noch individuelle Kosten für Steigleitung und Wohnungsanschlüsse. „Für unsere Wohnung lag die Kostenschätzung bei 5.000 bis 6.000 Euro”, sagt Schiller-Pröhl. Außerdem war unklar, ob alle mitziehen würden. „Wenn jeder Mieter und nur einer der Eigentümer Nein sagen würden, wären alle Planungen umsonst”, sagt Schiller. Denn Wien Energie verlangt, dass mindestens 80 Prozent der Wohnungen in einem Gebäude an die Fernwärme angeschlossen werden.
Monsteraufgabe: „Raus aus Gas”
Ähnliche Probleme wie in der Marinelligasse gibt es in vielen Häusern im Grätzel. Das Alliiertenviertel in der Leopoldstadt wurde von Wien Energie und der Stadt Wien zum Pioniergebiet „Raus aus Gas” erklärt. Schon seit Monaten durchziehen Baugruben das Grätzel, denn hier wird flächendeckend Fernwärme verlegt mit dem Ziel, Erkenntnisse für die Energiewende zu gewinnen.
Dass wir nicht länger mit russischem Gas heizen sollten, ist wohl spätestens seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine Konsens. Außerdem will Wien bis 2040 klimaneutral werden und alle 600.000 Gasheizungen dekarbonisieren. Schon rein rechnerisch ist das eine Monsteraufgabe: Von heute an müssten bis 2040 jeden einzelnen Tag über 100 Gas-Heizungen auf Fernwärme oder Wärmepumpen umgestellt werden.

Am kompliziertesten stellt sich der Umstieg in unsanierten Altbauten mit dezentraler Gasetagenheizung dar. Sie machen mit 300.000 Thermen rund die Hälfte der Gasheizungen aus. Wichtigster Baustein der Wiener Klimastrategie ist dabei der Ausbau des Fernwärmenetzes bei gleichzeitiger Dekarbonisierung. Wenn es dann aber um den Umstieg im Detail geht, wird es teuer – und vor allem kompliziert.
So wie in der Marinelligasse: Neben der Investition für den Heizungsumstieg sind auch die laufenden Kosten bei der Fernwärmeheizung abschreckend. Erst vor Kurzem kündigte Wien Energie höhere Preise für die Fernwärme an.
Fernwärme nur in 12 von 72 Gebäuden
„Mich mit der Fernwärme ins Bett zu legen, würde ich nie machen”, sagt Schiller-Pröhl. „Man kommt denen nicht aus”. Anders als Gas- oder Stromlieferanten gibt es bei der Fernwärme einen Monopolisten. „Man sieht bei kleinen Energieversorgern am Land, dass es günstiger geht”, sagt der IT-Techniker. Auch bei einer Gasetagenheizung sind die laufenden Energiekosten – zumindest derzeit – niedriger.
Bis Redaktionsschluss sind erst 12 der 72 Gebäude im Alliertenviertel an die Fernwärme angeschlossen. „Es hat sich gezeigt: Die Entscheidung von Gebäudeeigentümer*innen und Hausverwaltungen für ein alternatives Heizsystem ist ein komplexer Prozess, der Zeit braucht”, sagt die Wien-Energie-Pressesprecherin Franziska Bauer-Hartig. „Ob und wann eine Umstellung erfolgt, hängt von vielen Faktoren ab, wie etwa beispielsweise von der Frage, ob vor dem Heizungstausch noch Sanierungsmaßnahmen notwendig sind.”

Der Umstieg von Gas auf Fernwärme gehe auch schleppend voran, weil eine gesetzlich verpflichtender Gas-Ausstieg fehlt. „Das würde auch bei der Senkung der Netzkosten helfen, denn die ineffizienteste und teuerste Lösung ist der Erhalt doppelter Infrastruktur”, sagt Bauer-Hartig. Auch kritisiert sie, dass Mieter*innen den Umstieg auf Fernwärme blockieren könnten.
Billiger wird es nicht
Auf Vermittlung der Wien Energie komme ich mit Karin Schindler, der Gruppenleiterin Hausverwaltung & Technik der GESIBA in Kontakt. Der gemeinnützige Bauträger hat kürzlich in der nahen Springergasse 14 ein voll vermietetes Wohnhaus von Gaszentralheizung auf Fernwärme umgerüstet. Von den 102.000€ Kosten übernahmen Bundes- und Landesförderungen rund die Hälfte.
„Ich denke, dass wir uns als Hauseigentümer etwas ersparen, weil wir bei Fernwärme weniger servicieren müssen und wir haben auch keine Kosten mehr für die Kaminerhaltung oder Thermenerneuerung”, sagt Schindler. Beschwerden von Mietern in dem Wohnhaus aus den 1980er Jahren gäbe es zwar keine, aber das Heizen sei für sie wohl nicht billiger geworden.
Sanierung vor Heizungsumstieg
Dass es nicht so einfach sei, sich zum Umstieg durchzuringen, kann die GESIBA-Technikerin verstehen. „Wenn das Gebäude thermisch wirklich in einem schlechten Zustand ist, würde ich auch vorher sanieren, weil sonst baue ich eine überdimensionierte Fernwärmestation ein und das wäre auch schade”, sagt Schindler.
Auch im Gründerzeithaus in der Marinelligasse kommt jetzt etwas in Bewegung: Die Eigentümerversammlung hat sich zwar gegen den Heizungsumstieg entschieden, aber beschlossen, notwendige Vorarbeiten anzugehen. Die Heizlastberechnung wurde beauftragt und die Erneuerung der Steigleitungen projektiert.

Dominik Ritter-Wurnig
Dominik Ritter-Wurnig war als Datenjournalist und Redakteur unter anderem für rbb (ARD), ORF, ZDF und Krautreporter tätig – mit Stationen in Berlin, Wien und New York. Danach gründete und leitete er in Wien das Online-Magazin „tag eins“, ein werbefreies, durch Crowdfunding finanziertes Medienprojekt.