In einem Brigittenauer Altbau kämpfen die letzten Bewohner:innen gegen mutwillig herbeigeführte Verwahrlosung. Gleichzeitig wird das Haus als Betongold angeboten.
Text: Naz Küçüktekin

Von außen wirkt das Zinshaus in der Nähe des Donaukanals unscheinbar und intakt: Immerhin ist die Fassade frisch ausgemalt. Erst beim Betreten des Hauses in der Denisgasse zeigt sich, was die neue Farbe zu überdecken versucht: Die leerstehenden Wohnungen im Erdgeschoss sind voller Müll, im Stiegenhaus werden Fensterscheiben notdürftig mit Klebeband zusammengehalten, manche Rahmen sind überhaupt nur mehr leere Fassungen ohne Glas.
Fusion und Verkauf
„Vor eineinhalb, zwei Jahren haben sie es ausgemalt, weil es nicht so gut ankommt, wenn das so abgefuckt ausschaut“, sagt Jan, einer der wenigen verbliebenen Bewohner. Jan, der eigentlich anders heißt, aber anonym bleiben möchte, lebt seit 2017 hier. Damals gehörte das Haus einem älteren Rechtsanwalt, „ein bisschen überfordert, das zu vermieten in dem Alter“, erzählt er. Viele der Wohnungen standen schon damals leer.
Im Jahr 2020 kaufte dann die Real Living GmbH das Haus. „Seitdem hat sich eigentlich gar nix getan.“ Die neuen Eigentümerin, mittlerweile mit der Immobilienfirma „Stadtquartier“ fusioniert, will das Gebäue nun weiterverkaufen.
Leerstand als Anlage
Als „Zinshaus mit hohem Leerstand“ in „zentraler Ruhelage“, 17 Wohnungen, davon „70,6 Prozent leerstehend“ wird das Objekt aktuell auf Willhaben angeboten. Nur fünf Einheiten seien unbefristet vermietet, mit einem durchschnittlichen Nettomieterlös von sechs Euro pro Quadratmeter. Der Rest des Hauses sei „bestandsfrei“ und befinde sich in einem „guten bis sanierungsbedürftigen Zustand“. Verkauft werden soll es um 2,19 Millionen Euro. „Betongold“ ist das Ganze laut Anzeige.

Für Jan liest sich das wie die nüchterne Beschreibung eines Gebäudes, in dem er zwar wohnt, aber in der Logik des Marktes eher als Störfaktor vorkommt. Seine Alltagserfahrungen erzählen eine andere Geschichte: „Viele fremde Leute waren im Haus, die da Drogen genommen haben und sich teilweise aggressiv verhalten haben.“
Die Baupolizei greift ein
Die Eingangstür schloss oft nicht, leere Wohnungen standen aufgebrochen, manchmal steckten Schlüssel noch im Schloss. Niemand wusste, wer einem im Stiegenhaus begegnen könnte. Erst nach Beschwerden und der Intervention der Baupolizei wurden einige Schäden repariert. Grundsätzlich verändert habe sich aber wenig.
Mara Verlič, Expertin für Wohnen von der Arbeiterkammer, kennt diese Methoden: . „Die Wertsteigerung einer Immobilie kann lukrativer sein als Mieteinnahmen.“ Leerstand sei nicht paradox, sondern ökonomisch sinnvoll, sagt Verlič: besonders im Altbau, wo viele Wohnungen von alten Verträgen gebunden sind.
Es sind nicht nur Neubauten, die hohe Renditen versprechen. Rund ein Viertel aller Wiener Altbauten wurde in den letzten 20 Jahren verkauft, die Preise stiegen von 500.000–600.000 Euro auf durchschnittlich 3,5 Millionen. „Der Markt hat sich stark professionalisiert“, sagt Verlič. Über 90 Prozent der Käufer:innen seien heute Immobilienfirmen, die mit klaren Renditeerwartungen arbeiteten.

Wie diese Dynamik im Extremfall aussehen kann, zeigt ein Haus ganz in der Nähe: Salzachstraße 46. Dort ließ der Eigentümer das Gebäude über Jahre systematisch verfallen — offene Leitungen, ausgehängte Fenster, eine Haustür, die nicht mehr schlos. Mehrmals berichtete der ORF über die skandalösen und gesundheitsgefährdenden Zustände im Haus. Schließlich griff die Stadt ein und stellte das Gebäude 2024 unter Zwangsverwaltung. Für Verlič ein wichtiges Signal: Eigentümer:innen dürfen ihre Erhaltungspflichten nicht ignorieren, ohne Konsequenzen zu erwarten.
Zwischen Bleiben und Gehen
Für Jan fühlt sich vieles davon vertraut an – auch wenn sein Haus nicht ganz so weit ist wie andere Extremfälle. „Es bemüht sich keiner, dass wir da bleiben.“ Eigentlich wollten Jan und seine Partnerin längst ausziehen. Doch bei der Wohnungssuche wurde schnell klar, dass sie nichts Vergleichbares finden würden: unbefristet, mit Terrasse, leistbar. Also entschieden sie sich zu bleiben und selbst zu investieren. „Wir betrachten es quasi als Eigentumswohnung.“ Auch die wenigen anderen Bewohner:innen versuchen inzwischen, sich gegenseitig abzusichern: „Wir haben uns da mittlerweile echt organisiert und sind ständig in Kontakt.“

Was Jan erlebt, fügt sich für die Arbeiterkammer in ein größeres Bild. Ohne Reform des Mietrechts werde sich wenig ändern, sagt Mara Verlič. Sie fordert ein Ende der Befristungen, klare Mietobergrenzen und Strafen für überhöhte Mieten. Spekulationshäuser wie jenes in der Salzachstraße seien nur die sichtbare Spitze eines Eisbergs; darunter liege ein breites Feld an Gebäuden, in denen Mieter:innen mit unsicheren Verträgen, vernachlässigter Substanz oder überhöhten Kosten leben.
Eine Anfrage von Zwischenbrücken an die Eigentümerin des Hauses blieb unbeantwortet.
Interesse geweckt?
Für Jan bleibt der Alltag ein Balanceakt zwischen Improvisation und Aushalten. „Jetzt war schon länger niemand Fremder mehr im Haus“, sagt er. Vielleicht, weil die neue Fassade weniger verlassen wirkt. Doch das Gefühl, nicht gemeint zu sein, bleibt: Hinter dem Weiß liegt ein Haus, das sich längst stärker an Investoren richtet als an die Menschen, die darin wohnen. Und das nächste Kapitel steht schon in der Anzeige: „Haben wir Ihr Interesse geweckt?“
Ermöglicht wurde #Betongold durch das Stipendium „Recherche:Wien“ des Forums Journalismus und Medien Wien (www.fjum-wien.at).
Naz Küçüktekin hat journalistische Erfahrungen unter anderem bei Kurier, Profil und Biber gesammelt. Sie lebt in der Brigittenau hat mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Wiener Journalismus-Gesundheitspreis.



