Was würde der Schutzstatus für den markanten Bau in der Brigittenau bedeuten? Eine Architektin und eine Politikerin haben Ideen für die Nachnutzung.
Text: Naz Küçüktekin

„Es ist ein schönes Gebäude und ich kenne es schon seitdem ich fünf bin. Ich verbinde viele Erinnerungen damit“, sagt Manuel, 20 Jahre alt. Für Andrea, 47, gehört es „einfach zum Grätzl dazu“, auch wenn es ihr selbst „nicht so schön“ erscheint. Eylem, 47, sieht darin hingegen einen Störfaktor: „Das Gebäude gehört weg“, sagt sie und wünscht sich stattdessen etwas Nutzbares: „Eine Kindertagesstätte zum Beispiel, oder etwas Offenes, das alle nutzen können.“
Bedeutender Bau des Brutalismus
Diese Passanten sprechen über einen Bau, der kaum jemandem im Grätzl und auch darüber hinaus entgeht: der ehemaligen AUVA-Zentrale in der Adalbert-Stifter-Gasse, die mit ihrer brutalistischen Architektur und den blauen Details wohl zu den markantesten Bauten Wiens zählt.
Nun könnte ausgerechnet dieses Gebäude tatsächlich ein Denkmal werden. Das Bundesdenkmalamt hat einen entsprechenden Bescheid erlassen (Zwischenbrücken berichtete). Er umfasst das gesamte frühere Forschungs- und Verwaltungszentrum, inklusive der Freiflächen und der Skulptur von Oskar Höfinger. Begründet wird die Unterschutzstellung mit der „geschichtlichen, künstlerischen und kulturellen Bedeutung“. Die 1976 fertiggestellte AUVA-Zentrale von Architekt Kurt Hlaweniczka und Bauingenieur Kurt Koss gilt als markantes Beispiel der österreichischen Nachkriegsmoderne und als frühes Großprojekt dieser Bauphase.
Die „Allgemeine Unfallversicherungsanstalt“ AUVA sieht das allerdings anders und hat Beschwerde eingelegt. 2021 zog sie aus dem Gebäude aus: wegen baulicher Mängel, hoher Energiekosten und teurer Brandschutzauflagen. Eine Sanierung sei nicht vertretbar, hieß es. Seither kostet der Stillstand jährlich rund 1,5 Millionen Euro und sorgt immer wieder für Debatten. Ein Verkauf des Areals wäre für die Eigentümerin wohl die bevorzugte Variante gewesen; im Gemeinderat wurde zuletzt eine mögliche Umwidmung zu Wohnbau diskutiert.
Prägend für das Stadtbild der Brigittenau
Der Bescheid des Bundesdenkmalamts durchkreuzt diese Pläne vorerst – und wirft neue Fragen auf: Was bedeutet der Schutzstatus für eine spätere Nutzung? Wie flexibel bleibt das Areal? Und wie funktioniert Denkmalschutz bei einem Gebäude aus den 1970er Jahren?
Für Heike Oevermann, Architektin und Leiterin des Forschungsbereichs für Denkmalpflege und Bauen im Bestand an der Technischen Universität Wien, ist zumindest die Frage nach der grundsätzlichen Schutzwürdigkeit klar. „Mit der Entscheidung, die ehemalige AUVA-Zentrale unter Denkmalschutz zu stellen, verfolgt das Bundesdenkmalamt seinen gesetzlichen Auftrag“, sagt sie. Der Bau sei ein „architektonisches Landmark seiner Zeit“, prägend für das Stadtbild und zum Zeitpunkt seiner Errichtung innovativ. „Das Gebäude prägt das Stadtbild der Brigittenau sehr stark und ist auch weit über den Bezirk hinaus bekannt.“

Die größere Herausforderung sieht sie in der Zukunft des Gebäudes. „Ich verstehe auch die Abwägung in Bezug auf die Ertüchtigung des Gebäudes.“ Der lange Leerstand, der Sanierungsbedarf und die bisher ungeklärten Nutzungsszenarien seien Aufgaben, die zu bearbeiten seien.
Trotzdem betont Oevermann: „Es ist von zentraler Bedeutung, dass dem Gebäude nach mehrjährigem Leerstand nun endlich wieder eine sinnvolle Nutzung zugefügt wird und Weiterentwicklungsmöglichkeiten auch mit etwaigem Denkmalschutz bestehen bleiben.“
Veränderungen wären erlaubt
Die Unterschutzstellung würde die Bedeutung des Gebäudes festschreiben und künftige Entscheidungen beeinflussen. Gleichzeitig sieht Oevermann Chancen: Der Standort biete „aufgrund seiner zentralen Lage und Größe enorme Potentiale“.
Und sie betont, dass Denkmalschutz kein Stillstand ist: „Der Denkmalschutz erlaubt Veränderungen. Diese Veränderungen müssen eben abgesprochen werden. Hier wird diskutiert: Was sind gute Veränderungen für das Gebäude? Was passt zu dem Gebäude?“
Möglichkeiten würden darin bestehen, dass man in Zukunft eine breite Mischnutzung aus vielen unterschiedlichen Angeboten für die Bevölkerung anstrebe. Eine qualitätsvolle Mischung könne dem Gebäude und dem Grätzl „neue Lebensqualität einverleiben“.

Die bisherigen Diskussionen, von den Abrissüberlegungen der AUVA, dem Wunsch der Stadt nach Öffnung des Areals, bis hin zu den Hinweise von Expert:innen auf den Wert des Bestands – spiegeln genau diese Spannung wider. Der Denkmalschutz entscheidet nicht für eine Seite. Er definiert den Rahmen, in dem weiterverhandelt wird.
„Wohnnutzung bleibt dennoch möglich”
Für Selma Arapović, NEOS Brigittenau Chefin sowie Sprecherin für Stadtentwicklung der Regierungspartei ist klar, dass der Standort endlich Perspektiven braucht. Sie betont ebenfalls: „Der ehemaligen AUVA-Zentrale muss endlich neues Leben eingehaucht werden.“
Zur künftigen Widmung, über die der Gemeinderat im Oktober 2025 entscheidet, sagt sie: „Nach Beschluss der neuen Flächenwidmung ist dem AUVA-Gebäude die Widmung ‚Gemischtes Baugebiet – Geschäftsviertel‘ zugeschrieben.“ Wohnnutzung bleibe dennoch möglich: „Eine allgemeine Wohnnutzung ist mit dieser Widmung im gesetzlichen Rahmen der Wiener Bauordnung vereinbar.“
Damit widerspricht sie der verbreiteten Annahme, Denkmalschutz würde Wohnbau grundsätzlich ausschließen.
Doch für die konkrete Debatte dürfte noch Zeit bleiben. Denn die Entscheidung darüber, ob der Bau tatsächlich unter Schutz gestellt wird, liegt nun beim Bundesverwaltungsgericht. Wann dieses zu einem Schluss kommt, ist derzeit nicht absehbar. Die AUVA möchte sich zum laufenden Verfahren nicht weiter äußern.
Naz Küçüktekin hat journalistische Erfahrungen unter anderem bei Kurier, Profil und Biber gesammelt. Sie lebt in der Brigittenau hat mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Wiener Journalismus-Gesundheitspreis.






