Neuer Mistplatz kommt an die Freie Mitte
Entscheidung im Streit um einen Mistplatz für den 2. und 20. Bezirk: Im Regierungsprogramm der „Aufschwungs-Koalition“ ist der Standort Innstraße fixiert. Anrainer und Opposition wollen das jedoch nicht hinnehmen.
Text: Bernhard Odehnal, Naz Küçüktekin

„Ergebnisoffene Diskussion? Von wegen!“ Hannes Unger schüttelt verständnislos den Kopf: „Die Stadtregierung hat einfach entschieden. Ohne uns Bürgerinnen und Bürger zu fragen.“ Unger wohnt im Nordbahnviertel, das gegen den 20. Bezirk hin in der sogenannten Freien Mitte endet, einer grünen Freifläche mit Resten des ehemaligen Güterbahnhofs.
Am Rand dieser Grünzone, an der Innstraße, soll nun ein neuer Mistplatz gebaut werden. Unger und andere Anrainerinnen fühlen sich von dieser Entscheidung überfahren. Es werde „keinerlei Rücksicht auf die Wünsche und Sorgen der Bevölkerung genommen“, heißt es in einer Petition, mir der sie den Mistplatz Innstraße verhindern wollen. Unger hofft auf mindestens 500 Unterschriften – und darauf, von der Stadtpolitik zumindest angehört zu werden.
Einsprüche nur noch bis 13. Juni
Laut dem vor elf Jahren beschlossenen Leitbild waren für dieses Grundstück am Rand der Grünzone eigentlich Wohnhäuser und Büros vorgesehen. Doch die neue alte Koalition in Wien hat nun anders entschieden. Im 191 Seiten starken Regierungsprogramm legen sich SPÖ und Neos auf Seite 129 klar fest: „Für die Bewohner*innen des 2. und 20. Bezirks soll ein neuer ‚Grätzlmistplatz’ in der Innstraße entstehen.“
Gleichzeitig wird der Standort des bisherigen, seit 2020 geschlossenen Mistplatzes „Zwischenbrücken“ an der Dresdnerstraße umgewidmet: Zwischen der vielbefahrenen Straße und den Gleisen der S-Bahn sollen Wohnungen gebaut werden. Unger und seine Mitstreiterinnen verstehen das nicht: „Attraktiver Wohnraum an einem großen Park wird nun für die Müllentsorgung verwendet. Stattdessen baut man Wohnungen in dem unattraktiven Zwickel zwischen Dresdner Straße und Schnellbahn.“

Der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan für den alten Mistplatz ist noch bis 13. Juni öffentlich einsehbar. Bis dahin können auch Stellungnahmen abgegeben werden. Allerdings wird das an der Entscheidung der Stadtregierung kaum noch etwas ändern. Im Herbst soll der Gemeinderat die Umwidmung beschließen.
Damit hat sich die für die Müllentsorgung zuständige Magistratsabteilung 48 auf ganzer Linie durchgesetzt. Sie hatte den für die Leopoldstadt und die Brigittenau so wichtigen Mistplatz an der Dresdner Straße 2020 mit fadenscheinigen und zum Teil falschen Begründungen zugesperrt. Seither gibt es für die Menschen in beiden Bezirken keine Möglichkeit mehr, ihren Sperrmüll in der Nähe legal zu entsorgen („Zwischenbrücken“ berichtete)
Ulli Sima bleibt stumm
Stattdessen wollte die MA 48 immer schon einen neuen, großen Mistplatz am Rand der Grünen Mitte. Einen Hinweis auf seine geplante Größe könnte eine Transaktion geben, die kurz vor den Gemeinderatswahlen stattfand. Damals verkauften die ÖBB das eigentlich für den Wohnbau vorgesehene Areal entlang der Innstraße an eine Gesellschaft der Stadt Wien. Die Fläche ist etwa zwei Fußballfelder groß.
Soll der neue Mistplatz tatsächlich so groß werden? Wann wird mit dem Bau begonnen? In der Stadtregierung hält man sich dazu bedeckt. Für Stadtplanung, städtische Leitbilder und Flächenwidmung ist Stadträtin Ulli Sima verantwortlich. Ihre Sprecherin winkt ab: Keine Auskünfte. Auch die bei Stadtrat Jürgen Czernohorszky residierende MA48 wiederholt bloß die Ansage aus dem Regierungsprogramm, und gibt keinerlei zusätzliche Informationen.

Wie steht nun die Bezirkspolitik nun zur Entscheidung der Stadtregierung? In der Bezirksvertretung Leopoldstadt waren sich 2020 noch alle Parteien einig: Sie stimmten einem Antrag zu, den Mistplatzes an der Dresdner Straße zu vergrößern, zu modernisieren und wieder zu öffnen. Im März 2025 wurde dieses Ersuchen an den Magistrat von den Bezirksparteien erneuert.
Der Leopoldstädter Bezirksvorsteher Alexander Nikolai (SPÖ) forderte in einem kurz vor den Wahlen geführten Gespräch mit Zwischenbrücken, dass die Stadt für einen geeigneten Standort sorgen müsse: „Klar ist: Wir brauchen einen Mistplatz. Punkt“. Ganz ähnlich sagte das auch die Bezirksvorsteherin der Brigittenau, Christine Dubravac-Widholm, vor zwei Wochen im Zwischenbrücken-Interview: „Wir hoffen, dass mit der neuen Stadtregierung eine Lösung gefunden wird. Tatsache ist: Wir brauchen dringend wieder einen Mistplatz.“
Grüne und KPÖ protestieren
Nun ist die SPÖ still. Der Bezirksvorstehung lägen „keine neuen Informationen zum Mistplatz vor“, sagt der Leopoldstädter Bezirksvorsteher Nikolai: Der neue Flächenwidmungsplan (für die Dresdner Straße) werde in der nächsten Bezirksvertretungssitzung behandelt. Der grüne Bezirksvorsteher-Stellvertreter Bernhard Seitz ärgert sich hingegen, „mit welcher Chuzpe jetzt die Stadtregierung über die Bezirksvertretung drüberfährt“.
Im 20. Bezirk kritisiert vor allem die KPÖ Brigittenau die neuen Pläne scharf. 2023 hatten die Kommunisten eine Petition zur Wiedereröffnung des Mistplatzes Zwischenbrücken eingebracht. „Zuerst wurde der Mistplatz unter fadenscheiniger Begründung während Corona geschlossen, dann wurde eine bauliche Erneuerung blockiert und jetzt sollen plötzlich massenhaft Gebäude genau an diesem Ort aus dem Boden gestampft werden”, sagt Matthias Kaltenböck, Bezirksrat der KPÖ Brigittenau. Die Notwendigkeit eines Mistplatzes und die Interessen der Bevölkerung seien der Stadtregierung mit den aktuellen Plänen vollkommen egal, kritisiert er.
Treffen wir uns am „Grätzelmistplatz“?
Und die Neos? Im Bezirk hatten auch sie für die Wiederöffnung des Mistplatzes Dresdner Straße gestimmt. „Einen Supermistplatz in der Innstraße wollten weder die Bürgerinnen und Bürger, noch der Bezirk“, sagt Elisabeth Petracs, Bezirksrätin der Neos. Nun jedoch habe die Regierungskoalition einen „Grätzlmistplatz“ vereinbart. Dieser werde „die Pattsituation der letzten Jahre auflösen und eine gute Lösung für alle Herausforderungen sein“.
Was aber unterscheidet einen Grätzlmistplatz von herkömmlichen Mistplätzen der MA48? Im Regierungsprogramm wird recht vage eine „durchdachte Raumgestaltung und eine offene, freundliche Atmosphäre“ versprochen. Ziel sei eine „Minimierung von Verkehrsemissionen und Lärm durch einen optimierten Zugang für Fußgänger*innen und Lastenfahrräder“.
Neos-Bezirksrätin Petracs kündigt außerdem Reparatur- und Upcycling-Workshops, Tauschbörsen, Führungen für Schulklassen und einen „qualitätsvollen Aufenthaltsraum“ an: Dadurch solle „nicht nur das Thema Abfallwirtschaft erlebbar werden, sondern ein Treffpunkt im Grätzl entstehen“.
Mistplatz in der Windschneise
Grätzl-Treffpunkt Mistplatz? Anrainer Hannes Unger kann sich das nur schwer vorstellen. Das Nordbahnviertel liegt in einer Windschneise. Die in Wien besonders häufigen Westwinde sind gerade in der Bruno-Marek-Allee besonders stark zu spüren. „Wenn der Mistplatz an der Innstraße kommt, wird der Lärm und Gestank vom Wind dann über das ganze Nordbahnviertel getragen“, fürchtet Unger. Er betont, dass die Initiative einen Mistplatz nicht generell verhindern wolle. Doch der alte Standort an der Dresdner Straße sei „einfach die bessere Lösung“.
Unger steht auf dem kleinen Hügel neben den Überresten des Gasthauses Zur Alm. Laut dem städtebaulichen Leitbild wäre an dieser Stelle Freiraum zwischen neuen Wohnhäusern geplant gewesen, und damit eine attraktive Verbindung zwischen 2. und 20. Bezirk.
Der neue Mistplatz hingegen wäre vermutlich mit einer Mauer zur Straße und zum Park abgegrenzt. „Dann ist die Mitte nicht mehr frei“, sagt Unger. „Gegen Westen ist sie zu.“
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.
Naz Küçüktekin hat journalistische Erfahrungen unter anderem bei Kurier, Profil und Biber gesammelt. Sie lebt in der Brigittenau hat mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Wiener Journalismus-Gesundheitspreis.