Tethysgasse und Afrikanergasse: Zwei Straßenzüge in der Leopoldstadt tragen Erinnerungen an den Geologen und Politiker Eduard Suess.
Text und Fotos: Ernst Schmiederer

Die Afrikanergasse liegt inmitten des nach ihr benannten Afrikanerviertels, einem Dreieck, das von der Tabor-, der Prater- und der Heinestraße gebildet wird. Den Namen verdankt das Viertel der Großen Mohrengasse, der Kleinen Mohrengasse und eben der Afrikanergasse. Hier war der Geologe und Politiker Eduard Suess zuhause.
Delegation aus Marokko
Was heute Afrikanergasse heißt, war bis 1862 eine Marokkanergasse. 1783 war eine marokkanische Delegation nach Wien gekommen, um einen Friedens- und Handelsvertrag abzuschließen. Der Pascha von Tanger, Muhamed Ben Abdil Melka, weilte das Frühjahr über in Wien. Weil sich die Nachricht vom prominenten Besuch herumgesprochen hatte, reagierten zwei Wiener Vorstädte darauf mit der einschlägigen Benennung jeweils einer Gasse.
In Folge der Eingemeindung der Vorstädte ab 1850 kam es zum Showdown: Weil die Landstraßer Marokkanergasse repräsentativer war als die Leopoldstädter, zog der zweite Bezirk den Kürzeren und sah sich zur Umtaufung gezwungen. Warum im Jahr 2025 jemand den Drang verspürte, aus der „Afrikanergasse“ eine „Menschgasse“ zu machen, bleibt offen. Vermutlich war es einfach gut gemeint und weniger gut durchdacht.
Gedenktafel erst seit 2022
1881 kaufte Hermine, die Ehefrau von Eduard Suess das Haus Afrikanergasse 9. Suess ebte bis zum seinem Tod 1914 in diesem Haus in der Leopoldstadt. Doch erst 2022 wurde hier an der Hauswand eine Gedenktafel mit seinem Namen und seinen Leistungen angebracht.
Heute dürften hier etliche Wohnungen als Airbnb-Quartiere verwendet werden. Ob sich Eduard Suess über die vielen Schlüssel-Tresore am Portal seines Wohnsitzes gefreut hätte? Zumal zu vermuten ist, dass die Touristen, die sich heute hier einmieten, nicht seinetwegen kommen. Vielleicht werden sie immerhin das Wasser trinken, das dank Suess auch in diesem Haus klar und köstlich aus der Leitung kommt.

Eine weitere Erinnerung an Suess ist das Straßenschild an dem Verbindungsgang zur Praterstraße, gleich gegenüber seiner ehemaligen Wohnung. Und diese Tethysgasse hatte es der Wiener Stadträtin Ulli Sima derart angetan, dass sie im Januar 2021 in den Sozialen Medien postete: „Wusstest Du, dass die #Tethysgasse mit ihren gut 11 Metern die kürzeste Straße Wiens ist?“, fragte sie via Instagram und Facebook, um dann mit dem Hashtag #wienliebe aufzuklären: „Im Gedenkjahr an den Geologen Eduard #Suess bekam Wien 2014 eine Tethysgasse. Diese verbindet Praterstraße und Afrikanergasse in Höhe jenes Hauses, in dem der Erdwissenschafter lebte. Suess erreichte als Geologe Weltruhm. Er beschrieb den Boden Wiens, die Entstehung der Alpen, wie die Erde zu ihrem ‚Antlitz‘ kam und benannte den Urozean ‚Tethys‘ – nach der griechischen Meeresgöttin #Tethys. Er war am Bau der Wiener Hochquellwasserleitung ebenso maßgeblich beteiligt wie an der Großen Donauregulierung.“
Vermutlich wird die Stadt ihre Stadträtin für Innovation, Stadtplanung und Mobilität dereinst mit einer längeren Gasse ehren. Ob dabei auch ihre maßgeblichen Beteiligungen wie etwa am Bau der Markthalle am Naschmarkt eine Rolle spielen wird? Das muss sich erst weisen.
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.







