Auf dem Mexikoplatz übernahm Hassan Mohammadi mit seiner Familie eine Pizzeria. Nun will er den Gästen die Küche Afghanistans näher bringen.
Text: Eva Schörkhuber, Andreas Pavlic

Nach den letzten Hochsommertagen hat es abgekühlt. Die Platanen am Mexikoplatz atmen sichtlich auf, ebenso die Menschen, die an diesem Vormittag die Engerthstraße entlang eilen um Einkäufe zu erledigen, Arzt- und Friseurtermine wahrzunehmen oder schnell ein Buch aus der städtischen Bücherei zu holen. Manche schlendern auch auf der Suche nach Zerstreuung über die nasse Straße, bleiben stehen, werfen Blicke in die Schaufenster oder wechseln ein paar Worte.
Erfrischender als kühles Bier
Um 11 Uhr sind wir am Mexikoplatz Nummer 16 mit Hassan Mohammadi verabredet. Lachend kommt er uns entgegen, winkt uns zu, in der einen Hand trägt er ein Netz mit gelben Zwiebeln. Er bittet uns in das Lokal, das wir in den letzten Monaten so gerne besucht haben.
Nach unseren Badeausflügen auf die Donauinsel sind wir abends immer wieder im Gastgarten von Hassan’s Restaurant gelandet, haben verschiedene afghanische Gerichte ausprobiert und das salzig-würzig-herbe „afghanischen Joghurtgetränk“ genossen, das – mindestens – so erfrischend ist wie kühles Bier. Hassan hat die Bestellungen aufgenommen, das Essen serviert und uns von der Geschichte des Restaurants, das er gemeinsam mit seiner Frau Razia, mit seinem Bruder Ammar und mit seiner Mutter Hakima betreibt, erzählt. Wir sind neugierig geworden und haben ihn gefragt, ob seine Familie und er bereit wären, ihre Geschichte zu teilen.
Vor 17 Jahren aus Afghanistan nach Wien
So haben wir uns zu diesem Interview verabredet. Zusammen mit Hassan betreten wir das Lokal, lernen Ammar, Hakima und Razia kennen und nehmen alle an einem der Tische im Gastzimmer Platz. Vor 17 Jahren ist Hassan als erster der Familie Mohammadi nach Wien gekommen: Das Leben in Afghanistan, das auch damals schon von Krieg sowie von extrem gewaltvollen ethnischen Konflikten geprägt war, bot weder Sicherheit noch Perspektive. Wien war ein Ausweg, auch für Hakima und Ammar, die ihrem Sohn beziehungsweise Bruder drei Jahre später gefolgt sind. „Ich war glücklich, als Hassan angerufen hat, dass wir auch kommen sollen“, erzählt Hakima. Sie war Witwe und in Afghanistan war das Leben „nicht so gut“.

Seit zweieinhalb Jahren führen die Mohammadis das Restaurant als Familienbetrieb. Zuvor war es eine Pizzeria, die einem Freund von Hassan gehörte. Als dieser aufhören wollte, fragte er Hassan, ob er das Restaurant nicht übernehmen wolle.
Zuerst habe er abgelehnt, erzählt Hassan, der in Wien die Schule besucht und eine Ausbildung als Koch und Kellner absolviert hat. Schließlich aber hätten sie alle zusammen beschlossen, dass sie es mit dem eigenen Restaurant versuchen wollten: „Wir dachten, so können wir gemeinsam selbstständig und unabhängig arbeiten. Die Entscheidung ist am späten Abend gefallen. Ich bin dann direkt noch nach Korneuburg zu meinem Freund gefahren, um alles fix zu machen. Ich hatte 13 Jahre lang Erfahrung in der Gastronomie, habe dort unselbstständig gearbeitet und Einblicke darin erhalten, wie ein Gastro-Betrieb läuft.“ Am Anfang sei es jedoch schwierig gewesen, „es gab Tage ganz ohne Umsatz“.
Ein reiner Familienbetrieb
Hassan’s Restaurant ist ein reiner Familienbetrieb. Es gibt keine weiteren Angestellten, weder fürs Kochen, noch fürs Putzen oder Ausliefern. „Der Tag ist ziemlich lang“, meint Ammar. Um 09:00 fahren sie von ihrer Wohnung im 10. Bezirk los, richten alles her, damit sie um 11:00 das Lokal öffnen können. Küche gibt es – das ist für Wien eher ungewöhnlich – bis 22:00. „Wenn wir um 22:30 schließen, alles aufräumen und für den nächsten Tag vorbereiten, kommt es vor, dass wir erst um eins in der Früh nach Hause kommen.“ Außerdem sind noch kleine Kinder zu betreuen, die zwar in den Kindergarten oder in die Schule gehen, aber dennoch abgeholt oder manchmal zur Kinderärztin gebracht werden müssen – so wie an diesem Vormittag, an dem Hassan nach unserem Gespräch gleich los muss.
„Wir haben auch schon eine ganze Schiffscrew erobert.“ (Hassan Mohammadi)
Auf der Speisekarte finden sich ausgewählte Gerichte aus Afghanistan und Salatvariationen. Außerdem können Pizza, Pasta, Burger und Risotti bestellt oder abgeholt werden. Nach der Übernahme des Restaurants waren vor allem diese, der unmittelbaren Wiener Nachbarschaft vertrauteren Gerichte nachgefragt: „Die afghanische Küche haben wir langsam eingeführt.“ Alle lächeln. Mittlerweile gebe es ganz unterschiedliche Kundschaft: Nachbar:innen (wie wir); Tourist:innen, vor allem aus dem arabischen Raum, was, so erzählt Ammar, ihrer Präsenz und den guten Bewertungen auf social media Kanälen zu verdanken sei; und: „Wir haben auch schon eine ganze Schiffscrew erobert.“ Regelmäßig komme die Besatzung eines der Kabinenschiffe, der so genannten „Donaukreuzer“, die ganz in der Nähe anlegen.
Rezepte aus vielen Händen und Mündern
Das Geheimnis der Küche liegt in der Zubereitung. Alles ist handgemacht: die verschiedenen Teigtaschen wie die Mantu, die mit faschiertem Lamm und Rind gefüllt sind, oder die vegetarischen Ashak; aber auch das mit Erdäpfel und Lauch gefüllte Fladenbrot Bolani und die Sambosas – ähnlich den pakistanischen und indischen Samosas handelt es sich dabei um gefüllte und frittierte Teigtaschen; und, nicht zu vergessen, das bereits erwähnte „afghanische Joghurtgetränk“.

Die Chefin der Küche, Hakima, bestätigt, dies bedarf genauer Planung und viel Vorarbeit. Diesen Sommer, als das Lokal und der schmale Gastgarten davor gut besucht waren, wurden in der Woche mitunter 30 Kilogramm Mantus gefertigt. Da sind alle Hände gefragt. Den hohen Zuspruch sieht sie vor allem als eine Bestätigung für die Qualität ihrer Arbeit. Die Frage nach den Rezepten für die Speisen beantworten Hakima und Razia lächelnd. Diese gebe es nicht in schriftlicher Form. Sie wurden von ihren Müttern und Großmüttern beim gemeinsamen Kochen, „von Mund und Hand“ weitergegeben. Auf der Speisekarte finden sich traditionelle Gerichte, die in ganz Afghanistan und in unterschiedlichen Varianten in vielen Regionen Zentralasien aufgetischt werden.
Was unterscheidet die afghanische von der österreichischen Küche? Für Hassan ist es eindeutig: „Es wird viel mehr gewürzt.“ Anschließend zählen sie gemeinsam auf: Kreuzkümmel, Anis, Lorbeer, Sternanis, Koriander und sehr viel Petersilie. Alles, was es hier ebenfalls zu kaufen gibt, und wenn’s original schmecken soll, dann holen sie die Zutaten aus dem afghanische Geschäft. „Ich liebe Kaiserschmarrn und auch das Wienerschnitzel esse ich gern“, so Ammar, „aber afghanisches Essen schmeckt einfach besser.“
„Dschaghuri – von dort sind wir“
Eine weitere Überlegung zu den angebotenen Speisen war, ob sie auch Grillgerichte anbieten sollen. Zuweilen wird danach gefragt. Sie haben sich jedoch dagegen entschieden. Der Grund dafür hat mit ihrer Herkunft zu tun. Ammar zeigt auf einen Wandteppich, der eine Karte Afghanistans darstellt. Alle Regionen des Landes tragen je unterschiedliche Farben. „Das ist die Provinz Gazni. Sie liegt in der Mitte von Afghanistan und ungefähr hier liegt Dschaghuri, von dort sind wir.“
Er und Hassan beschreiben die Landschaft des Distrikts als karges Hochland, mit vielen hohen Bergen und weiten Tälern. Es gab dort nur wenig Fleisch und deshalb wurde kaum gegrillt. Sie hätten einfach zu wenig Übung in dieser Form der Zubereitung und und sich deshalb dagegen entschieden, Grillgerichte in das Repertoire ihrer Küche aufzunehmen. „Wir wollen nur das anbieten, was wir auch wirklich gut können“, betont Hassan. Hakima nickt bestätigend.
Schwierige erste Jahre
Mit dem Blick zurück in das Land, in dem sie einst lebten, führt das Gespräch nochmals zu ihrer Ankunft in Österreich. Für alle vier war es anfangs schwierig, sich hier zurecht zu finden. Ammar erzählt von seinen ersten Jahren hier in der Schule: „Das war wirklich nicht einfach. Aber meine Familie ist sehr tüchtig, wir haben akzeptiert, dass wir hier leben und etwas aufbauen müssen.“ Ob es Pläne gibt? Hassan lächelt verschmitzt. „Weitere Niederlassungen!“ Alle lachen. „Nein, haben wir keine. Das Restaurant ist noch so jung. Wir müssen schauen, dass es stabil bleibt.“
Link: https://restaurantpizzeria.at

Eva Schörkhuber
Eva Schörkhuber lebt als Schriftstellerin in Kulturwissenschafterin in Wien Leopoldstadt; sie schreibt Prosa, Lyrik, Essays und Reportagen – u.a. für den Augustin und für Die Presse. Zuletzt erschienen ist der gemeinsam mit Andreas Pavlic herausgegebene Sammelband Vagabondage,sowie der literarische Essay Die wunderbare Insel. Nachdenken über den Tod (Wien 2023).

Andreas Pavlic
Andreas Pavlic lebt und arbeitet als Schriftsteller, Redakteur der Fachzeitschrift Soziale Arbeit in Österreich (SIÖ) und Kulturarbeiter in Wien Leopoldstadt. In seinen Arbeiten widmet er sich sozialen und politischen Themen, der Gedenkkultur und dem Leben ins seinem Grätzl.