Der 26-jährige Syrer Hamza Karem verdient sein Geld mit dem orangen Lieferando-Rucksack. Er lebt mit seiner Frau Ranim in einem winzigen Zimmer in der Leopoldstadt.

Gestern war ich kurz in Linz. Ein Freund hat mir erzählt, dass es dort bei Rewe einen Job gibt. Aber dort könnte ich auch nur 1.400 oder 1.500 Euro verdienen. Und müsste wieder eine Wohnung finden und übersiedeln. Das kostet auch Geld. Also bleibe ich besser in Wien.
Ohne Hoffnung in Istanbul
Ich bin Syrer und in der Nähe von Damaskus aufgewachsen. Dort habe ich Matura gemacht und sechs Semester Lehramt studiert. Aber dann musste ich weg. Streit über Religion. Krieg. Soldaten. Das Regime. Es ging um mein Leben. Seit November 2021 bin ich in Österreich.
Sieben Monate habe ich in Istanbul in einer Schneiderei gearbeitet. Zum ersten Mal im Ausland. Ich habe meine Mutter vermisst. Sie hat jeden Tag Frühstück für mich gemacht. Es war schwer. Ich habe gearbeitet, Drahtreifen in Hochzeitskleider eingebaut. Und im selben Raum habe ich geschlafen. Ich hatte keine Papiere, keine Aussichten.
Über die Balkanroute nach Wien
Mit zwei Freunden habe ich mich auf den Weg gemacht. Zu Fuß. Und in kleinen Bussen. In einem Gummiboot über den Grenzfluss. 18 Tage zu Fuß durch Griechenland bis nach Kavala. Mit dem Bus nach Saloniki, nach Athen. Ein paar Tage Pause. Mit dem Bus bis Albanien. Wieder zu Fuß über die Grenze. Kosovo. Ein Land nach dem anderen. Serbien. Ungarn. Wir wurden verhaftet, wieder zurück nach Serbien gebracht.
Beim zweiten Mal hat es funktioniert. Da waren wir müde, fertig, am Ende, wie blind. Unsere Füße waren kaputt, alles offen. In Budapest-Keleti sind wir in einen Zug gestiegen und bis Wien gefahren. Hauptbahnhof.
Über 600 Euro für ein Zimmer
Jetzt ist es gut. Seit dem 21. März ist auch Ranim bei mir, meine Frau. Familiennachzug. Sie hat ihr Tourismusstudium in Syrien abgebrochen. Jetzt lernt sie Deutsch. Sie will fertigstudieren. Wir haben ein Studio im zweiten Bezirk gemietet. Ein Zimmer. Ich zahle 663 Euro Miete. Und arbeite jeden Tag. Von Montag bis Sonntag. Mindestens acht Stunden.
Vormittag geht das meistens gut, da haben die Menschen Hunger, wollen Frühstück oder schon Mittagessen. Am Abend brauchen sie uns auch. Aber dazwischen ist wenig zu tun. Es gibt vier Schichten, jede dauert vier Stunden. Ich kann mich jeden Tag für drei Schichten anmelden.
1.100 Kilometer in zwei Wochen
Angefangen habe ich im März 2024 als Fahrer, als Freier Dienstnehmer bei Foodara. Das war Stress. Ich habe gekündigt und mich dann bei Lieferando angemeldet. Ich war für 40 Stunden Vollzeit angestellt. Aber dann wurde die Firma geschlossen. Und jetzt gibt es dort nur mehr Freie Dienstnehmer. Netto kann man 1.500, manchmal 1.600 oder auch 1.700 Euro verdienen. Oder wenn Du jeden Tag von acht Uhr bis Mitternacht durchfährst auch 2.000.
Handy und Moped muss ich selber kaufen. Mein Moped wurde gerade erst gestohlen. Um 850 Euro habe ich mir ein neues gekauft, ohne Akku. Extra dazu einen guten Akku um 900. Der hält acht Stunden durch. In zwei Wochen bin ich jetzt schon 1.100 Kilometer damit gefahren. Die Ausrüstung – Jacke, Helm, Tasche ¬– bekommst Du beim ersten Mal gratis.

Wenn etwas kaputt wird, kannst Du es online nachkaufen, im Lieferando Shop. Früher haben wir auch Handschuhe bekommen. Jetzt nicht mehr. Meine Hose ist warm, eine Skihose von Lidl. Wenn es wieder richtig kalt wird, so wie letztes Jahr im Winter, habe ich noch einen Rollkragen- und zwei andere Pullover, einen Schal und zwei Unterhosen.
Die Kunden sind verschieden. Menschen eben. Viele sind zufrieden mit uns, normal. Aber es gibt auch unhöfliche Leute. Manche geben keine genaue Adresse, keine Türnummer. Vielleicht weil sie Angst haben? Aber ich muss dann lange suchen. Ich kann nur über die Lieferando-App mit dem Kunden sprechen.
Auf dem Radweg beschimpft
Es gibt auch viele Menschen, die hassen unsere Mopeds. Die schimpfen, weil wir am Radweg fahren. Aber was soll ich machen? Ich kann nicht acht Stunden mit dem Fahrrad fahren. Und mit dem Moped darf ich nicht auf die Straße. Die Lasallestraße zum Beispiel, die ist für unsere Mopeds auch viel zu gefährlich.
Ich suche dringend einen fixen Job. Ich habe mich bei Hofer online angemeldet und auch bei Lidl. Und bei Takeda, dem Pharmawerk im 22. Bezirk. Aber bis jetzt habe ich von keinem eine Antwort bekommen. Obwohl ich alles habe. Ich habe Papiere, schon nach vier Monaten habe ich einen positiven Asylbescheid bekommen. Fünf Monate musste ich warten, bis ich einen Deutschkurs besuchen durfte.
Mehr Chancen auf bessere Arbeit
In zweieinhalb Monaten habe ich dann A1 kompakt gemacht. Und in dreieinhalb Monaten den A2-Kurs. Dann die Prüfung für B1-Niveau. Und auch schon den Kurs für B2. Jetzt will ich unbedingt noch das Zertifikat dafür machen. Das ist wichtig, weil ich dann mehr Chancen auf eine bessere Arbeit habe. Ich möchte das auf jeden Fall schaffen. Und ich hoffe, dass der Winter nicht zu kalt wird.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.







