„Am liebsten würde ich den Menschen zurufen: Seid gut zueinander!“
Die Caritas-Projektleiterin Bettina Wagner, 55, liebt die Vielfalt ihrer Wohnumgebung in der Brigittenau. Aber sie möchte die Nachbarschaft zu mehr Eigeninitiative ermuntern.

Seit zehn Jahren arbeite ich nebenberuflich als Reisebegleiterin für Weltanschauen, ein oberösterreichisches Unternehmen, das sozial-ökologisches, nachhaltiges Reisen anbietet. Jede Reise wird von zwei Menschen betreut, einer kümmert sich um die Inhalte, der andere organisiert die Gruppe. Diesen Hirtenhunde-Job mache ich. Wir reisen grundsätzlich überallhin terran, also mit Zug und öffentlichen Verkehrsmitteln.
Die wenigen Ausnahmen, die einen Flug erfordern, werden mit einem CO2-Rechner und einer sich daraus ergebenden Spende an ein Klimaschutzprojekt kompensiert. Im konkreten Fall geht das Geld an eine Biogasanlage in Uganda, ein Projekt, das in einer Kooperation der Universität für Bodenkultur mit der Caritas umgesetzt wird.
Reisen in Krisenregionen
Die jüngsten Reisen haben mich nach Montenegro, Albanien und Georgien geführt. Wir achten immer darauf, neben dem Sightseeing auch Kontakte zu den Menschen im jeweiligen Land zu knüpfen. In Albanien haben wir Umweltorgansationen und das Nationalparkprojekt Vjosa besucht. In Georgien konnten wir am Rande die regierungskritischen Demonstrationen beobachten und bei Terminen mit dem österreichischen Botschafter und der Austrian Development Agency ADA mehr darüber erfahren.
Gegründet wurde Weltanschauen vor zwölf Jahren von Christoph Mülleder. Mit ihm verbindet mich neben der Reiselust auch der gemeinsame Arbeitgeber Caritas. Fünf Jahre lang war ich für die Caritas Österreich tätig, seit zehn Jahren bin ich bei der Caritas Wien. Bis Ende Juni habe ich dort die Le+O-Ausgabestelle Waldkloster in Favoriten koordiniert.
Le+O kombiniert die Ausgabe von geretteten Lebensmitteln an armutsbetroffene Menschen mit kostenloser Sozialberatung. Dreimal die Woche können Berechtigte dort Lebensmittelpakete gegen eine geringe Unkostengebühr abholen. Ich bin dafür zuständig, dass der Laden läuft und allenfalls auftauchende Probleme gelöst werden. In letzter Zeit bemerken wir die schlechtere Wirtschaftslage. Es gibt generell weniger Geld für solche Projekte, es wird weniger gespendet. In dieser Situation eine passende Stelle zu finden, wird mir noch einiges Kopfzerbrechen bescheren.
Ärger über die Verkehrs- und Stadtplanung
Zuhause bin ich mit meiner Familie direkt am Walleinsteinplatz. Vor 19 Jahren haben wir diese Wohnung im zweiten Stock mit Blick auf den Platz bezogen. Der war damals gerade frisch umgebaut, alles neu gepflastert. Im Sommer glüht es hier. Das ist kaum auszuhalten. Abends sehen wir zwar, dass die Sonne hinter der Spittelau untergeht. Aber die Raumtemperatur sinkt nicht wirklich. 33 Grad sind dann Standard.
Abgesehen von der Misere der Verkehrs- und Stadtplanung im Grätzl, genießen wir das Leben hier sehr. Es ist in jeder Hinsicht wunderbar, wie unterschiedliche Kulturen miteinander leben und etwas voneinander haben. Ich treffe viele nette, interessante Leute. Mein Schneider auf der Jägerstraße vorne links ist Bosnier. Am Hannovermarkt werde ich mit Namen angesprochen. Der andere Schneider ist ein marathonlaufender Kurde, verheiratet mit einer polnischen Christin, zusammen haben sie vier Söhne. Dieses wohlwollende Miteinanderumgehen ist mir sehr wichtig.
Es ist nicht alles super. Man kann ja kritisieren. Manches muss man auch kritisieren. Man kann aber auch selber mal was in die Hand nehmen, etwas aufräumen, etwas organisieren. Am liebsten würde ich den Menschen immer nur zurufen: Seid gut zu einander, lebt und liebt. Habt keine Angst.
Überwintern auf La Gomera
Vergangenes Jahr war ich in Bildungskarenz. In der Zeit haben wir eine gemeinsame Reise nach Afrika gemacht. Unsere Tochter Rosina ist 21 Jahre alt. Nach ihrer Geburt haben wir vier Monate mit ihr auf La Gomera überwintert und später einmal mit beiden Kindern in Goa, wo unser Sohn Camillo dann am Strand laufen gelernt hat. Jetzt wollten wir, dass der 14jährige Camillo auch einen etwas längeren Auslandsaufenthalt bewusst erlebt. Man muss immer wieder mal aus der Komfortzone raus und die Perspektiven wechseln.
Camillo ist also zwei Monate in Mozambique zur Schule gegangen und hat dabei auch erfahren, wie es ist, wenn man einer von wenigen Weißen in der ganzen Schule ist. Er hat sich gut zurechtgefunden. Davor sind wir ein Monat lang gemeinsam durch Tansania gereist. Mit Rucksack, Bus, Hostel, alles sehr basic also. Darauf bestehe ich. Das ist nicht bequem, manchmal auch ein bissl anstrengend. Aber immer lustiger als im Hotel. Man trifft interessantere Leute. Weltenbummler, Typen, die mit dem Radl den ganzen Kontinent abfahren. Man hört bessere Geschichte.
Von wegen hören. Mein Mann Florian ist Allgemeinmediziner, aber vor allem auch Musiker. Er arbeitet als Schularzt im TGM, spielt Geige und leitet das „Ballorchester Dr. Krisper“. Rosina war bei den Sängerknaben am Augarten und spielt Bratsche, Camillo Fagott. Und ich? Höre zu.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Links:
https://www.weltanschauen.at
https://klimaneutralität.boku.ac.at
https://www.caritas-leo.at
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.