Was ist das Besondere an Ihrem Beruf, Herr Wolfram?
Christoph Wolfram-Martin, 64, ist Farbenchemiker und weithin anerkannte Autorität in Sachen Farbmaterial.

Die Brigittenau ist mein Zentrum. Wenn ich fortgeh, dann dort. Wenn ich ins Kino geh, dann in die Millenium City. Viele Freunde leben dort. Ich geh dort essen. Ich geh spazieren. Der Augarten ist meine Oase. Meine Töchter sind dort zum ersten Mal auf Ski gestanden. Und ich habe nach meiner Operation jetzt die ersten Schritte mit meinen neuen Knien dort gemacht. Als junger Mann habe ich den Beruf des Farbenhändlers gelernt, den man leider hat aussterben lassen. Mein Lehrabschlußprüfer damals, der Herr Stadler, hat mir später angeboten, eine 150-Quadratmeter-Wohnung in seinem Haus auf der Wallensteinstraße zu mieten. Dort wohne ich jetzt seit fast 30 Jahren mit meiner Frau und zwei Töchtern.
Nicht nur die Wohnung, auch meine Karriere als Farbchemiker verdanke ich Herrn Stadler. Er hat dafür gesorgt, dass ich schon sehr bald der jüngste Gerichtssachverständige auf diesem Gebiet wurde. Heute bin ich als oberster Gerichtsgutachter auch der Prüfer aller neuen Sachverständigen. Inzwischen bin ich als der Farbfuzzi weithin bekannt. Vom Stephansdom bis zu unserem Farbgeschäft Sefra auf der Hollandstraße brauche ich manchmal ein oder gar zwei Stunden, weil ich so viele Leute unterwegs treffe. Das ist eines der Privilegien meines wunderschönen Berufs.
Meine Stärke ist nicht der Farbton. Gagerlgrün oder blau, das ist mir wurscht. Ich bin für die Qualität zuständig. Ich erkenne das Material, ich weiß, wie es produziert, was gemischt wird. Dieses Wissen bringt mich mit sehr vielen Menschen sehr intensiv in Kontakt. Sie lassen mich in ihre Häuser, sie vertrauen mir, sie schätzen meine Expertise. Ich muss es so deutlich sagen: Ich liebe diesen Beruf. Die Zeit, die er in Anspruch nimmt, spielt keine Rolle für mich. Ich fange etwas an, um es fertig zu machen. Und wenn ich dazwischen mal länger stehen und warten muss, dann warte ich eben bis man wieder weiter arbeiten kann. Manche Farben kann man nicht einfach so stehen lassen, nur weil es fünf Uhr ist. Dann bleibt man dabei, bis die Arbeit fertig ist.
Früh aus dem Haus
Ich gehe um sechs Uhr früh aus dem Haus, manchmal auch früher. Und komme sehr spät zurück. Heute war ich schnell in Linz, wo ich an der Uni Industriedesigner und Architekten unterrichte. Jetzt habe ich in Wien noch zwei Termine. Fast alle meine Reisen mache ich mit der Bahn, da kann ich schlafen und arbeiten. Manchmal würde ich mich aber schon gerne beamen lassen.
Ich bin 1968 mit meinen Eltern nach Amerika gezogen. Mein Vater Herwig hatte als Historiker und Mediävist Professuren und Lehraufträge in den USA. Wenn ich in den Ferien in Wien war, habe ich meinem Onkel Gerd in seinem Geschäft Farben Wolfram auf der Schönbrunner Straße geholfen. Gerd hatte 1965 die erste Farbmischmaschine erfunden. Seine Welt hat mich von Anfang an fasziniert. Als wir 1976 endgültig zurück nach Wien kamen, bin ich bei ihm in die Lehre gegangen. Anschließend wollte ich studieren. Aber der Onkel hat gesagt, da lernst Du nichts Neues mehr. Und hat mich stattdessen herumgeschickt: Von 1983 bis 1989 habe ich in allen möglichen Lackfabriken gearbeitet, in Salzburg, in Villach, in Köln, in Tampere.
Spezialisiert war ich anfangs auf Metallbeschichtungen, Material für die Weltraumtechnik. Inzwischen habe ich schon fast alles einmal gemacht. Ich hab die Milka-Kühle violett angestrichen. Ich war zehn Jahre im Weißen Haus für die Innenfarben verantwortlich. Bei der Renovierung des Parlaments, aber auch beim Tatort und bei diversen Spielfilmen habe ich Architekten in Sachen Farben beraten. Bei der neuen Filmstadt in Simmering bin ich dabei. Und beim Park, den der Heller an der Alten Donau macht. Etwas ganz Besonderes ist für mich auch die Arbeit im Tiergarten. Die Vögel, die Adler, die Koalas, alle brauchen was anderes. Das eine Tier verträgt diese Substanz schlecht, das andere fühlt sich mit jener wohl. Das ist oft viel Recherche nötig. Ich weiß aber inzwischen, wer sich wo gut auskennt. Den kontaktiere ich und lerne wieder Neues.
Arbeit in Museen
Meine größte Stärke – und auch meine Spezialliebe – sind die Museen. Das Belvedere, das Kunsthistorische, das Naturhistorische, das Jüdische, die Albertina. Ich freue mich über jede Frage und jeden Auftrag. Es ist immer spannend. Das Einzige, was ich nicht so gern mag: die Arbeit im KZ. Da hat man es nicht nur mit Mauer-, sondern auch mal mit Knochenresten zu tun.
Österreich war auf dem Gebiet der Farb- und Lackentwicklung traditionell federführend. Die wichtigsten Erfindungen seit dem 19. Jahrhundert wurden bei uns gemacht. Silikatfarbe wurden in Deutschland erfunden. Alles andere –Innenwand-, Silikon- oder Reinacrylatfarben zur Betonbeschichtung – stammt aus Österreich. Aber heute spricht kaum noch jemand über diese Erfinder. Das mag auch daran liegen, dass einige davon beim Absturz des Hindenburg-Zeppelins 1937 ums Leben gekommen sind. Ein großes Kulturerbe, das fast in Vergessenheit geraten ist.
Jetzt akut steht ein Boxenstopp an. Ich fahr morgen nach Bad Ischl, drei Wochen auf Reha nach meiner Knieoperation. Der Arzt hat gesagt, dass ich mein Handy und meinen Computer abgeben muss. Ab 14. August bin ich dann wieder erreichbar. Bis dahin kümmere ich mich um meine Knie.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.