Was unterscheidet das Schauen vom Beobachten, Antonio?
Der Schriftsteller Antonio Fian, 69, tanzt auf vielen Hochzeiten, schreibt am liebsten aber Dramolette.

Ich lebe in Österreichs einziger moderner europäischer Großstadt, der Leopoldstadt. Mit diesem Satz habe ich vor Jahren im Standard einen Text mit dem Titel „Die anständigen Menschen und die Leopoldstadt“ begonnen. Und ich zitiere ihn, weil ich das, seit 1984 mit meiner Frau und dann auch mit unseren beiden Kindern in der Novaragasse lebend, bis heute so empfinde. In nur wenigen anderen modernen europäischen Großstädten „gelingt dieses scheinbar mühelose friedliche Neben-, ja Miteinander von Menschen verschiedener Nationalitäten, Hautfarben und Religionen, von unterschiedlichsten Milieus, nirgendwo sonst produziert ein so großes Reservoir an Konfliktmöglichkeiten so wenig Gewalt“, habe ich damals gesagt, und ich würde das heute – obwohl vieles inzwischen komplizierter geworden ist – immer noch so sagen.
Ich bin in Spittal an der Drau aufgewachsen. Meine Eltern hatten einen Lebensmittelgroßhandel, den ich hätte übernehmen sollen. Nach der Matura habe ich daher den Abiturientenlehrgang der Handelsakademie besucht und anschließend ein Volkswirtschaftsstudium begonnen. Dass ich lieber Schriftsteller werden wollte, war mir bald (und meinen Schulkolleg/innen, wie sie mir später erzählt haben, schon viel früher) klar. Und als ich 1980 die Zusage für mein erstes Literaturstipendium erhielt, habe ich die Eltern angerufen und mitgeteilt, dass ich das Studium aufgeben würde.
Eine Zeitung namens „Fettfleck“
Schon ein paar Jahre vorher hatte ich mit einem Freund den „Fettfleck“ gegründet, eine Zeitschrift mit dem Ziel, „eine alternative anzubieten zum allgemein bekannten und einseitigen literaturangebot in kärnten“. Bis 1981 haben wir 14 Hefte herausgegeben, allesamt auf der A4-Offset-Maschine im Geschäft des Vaters gedruckt, der uns, wenngleich politisch ganz und gar nicht unserer Meinung, immer und anfangs auch finanziell unterstützt hat, wofür ich ihm immer dankbar sein werde.
Vom Land Kärnten haben wir, wenig überraschend für dessen damaligen Zustand, in all den Jahren keinen einzigen Schilling Förderung bekommen. Die höchste Auflage erreichten wir 1978 mit „Fettfleck 12“, einem Heft, in dem, ausgewählt von Marie-Thérèse Kerschbaumer und der Grafikerin Elisabeth Kmölniger, ausschließlich Arbeiten von Schriftstellerinnen gedruckt wurden, von Elfriede Jelinek, Marianne Gruber, Elfriede Gerstl und vielen anderen.
Nur mal kurz die Welt retten
Warum ich Schriftsteller geworden bin? Natürlich weil ich die Welt retten wollte. Ich denke immer noch, wenn man sich nicht einbildet, dass total wichtig ist, was man zu sagen hat, sollte man gar nicht erst anfangen mit diesem Beruf. Es wird einem später sehr sehr viel runtergeräumt von dem, was man sich erträumt hat, daher halte ich es für ratsam, mit höchstem Anspruch zu starten.
Ich neige von Beginn an eher der kurzen Form zu, habe über die Jahre aber auf vielen Hochzeiten getanzt. Dennoch bin ich ein sehr treuer Autor: Alle meine Bücher sind im Droschl-Verlag erschienen, zwei Romane, fünf Erzähl-, vier Gedicht- und zwei Essaybände. Dazu noch die ausgewählten Dramolette, von denen im August nun der achte Band herauskommt: „In aller Offenheit“.

Seit 27 Jahren erscheinen diese Stücke im „Standard“, früher wurden sie meist im „Falter“ gedruckt. Mittlerweile habe ich wohl mehr als 1.200 Texte dieser Sorte geschrieben. Begonnen hat das als Nebensache, als Stilübung. An Thomas Bernhard konnte man ja nicht vorbei, und wenn man sich ernsthaft mit seinem Stil auseinandersetzt, erfährt man, wie schwierig es in Wahrheit ist, ihn auf angemessenem Niveau zu imitieren. „Gerald Grassl begegnet auf dem Graben Thomas Bernhard und nimmt ihn in Schutz“ hieß das erste meiner Dramolette, das war nach dem „Heldenplatz“-Skandal.
Ich sitze nicht sehr viel an der Schreibmaschine bzw. jetzt vor dem PC. Der größere Teil der Arbeit an den Dramoletten spielt sich im Kopf ab. Ich bin auch gern in Wirtshäusern, lieber als in Kaffehäusern, und bedaure sehr, dass es immer weniger davon gibt in der Leopoldstadt. Der gerade verstorbene großartige Peter Bichsel hat einmal gesagt, ein Schriftsteller muss schauen, nicht beobachten. Das braucht Zeit und Geduld, aber nur aus diesem Schauen wächst gute Literatur.
Spaß mit Kärntner Dialekt
Die Kärntner Dialekte in den Dramoletten zu benutzen macht mir großen Spaß. In der Schulzeit war ich im Sommer im Geschäft meines Vaters bei der Auslieferung der Bestellungen als Beifahrer in allen Teilen Kärntens unterwegs, bis rauf nach Heiligenblut. Die dialektalen Unterschiede haben mich damals schon fasziniert. Später habe ich das „Kärntische Wörterbuch“ von Matthias Lexer kennengelernt, einem Schüler von Jacob Grimm.
Es hat mir oft geholfen, vor über zwanzig Jahren, als Jörg Haider seine Liebe zum Beachvolleyball entdeckt hat, und ich die Figuren zweier Beachvolleyball-Nachwuchsspieler erschaffen habe, deren Leben ich seither schreibend begleite. Mittlerweile sind sie gealtert, also „ehemalige Beachvolleyball-Nachwuchsspieler“, die „schwarze Sportschuhe, schwarze Hosen und schwarze T-Shirts mit der Aufschrift Security“ tragen. Zuletzt haben sich die beiden Sorgen gemacht, „weil Stodt Klognfuat muass spoan“:
DER ERSTE: Oba manst du nit aa, doss Klognfuat bold wead gehen pleite?
DER ZWEITE: Konn sein. Oba muass nit. I vurige Wochn dem Biagamasta an Vuaschlog g’schickt, wia er konn vahindan. Weama segn, wos er sogt.
Vielleicht wird das vorgeschlagene Modell dann Schule machen und in Wian draußen wean se sogn, super, Klognfuat. Wer weiß.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Link: https://www.droschl.com/autor/antonio-fian/
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.
Christopher Mavrič arbeitet als Fotograf für den „Falter“ und viele andere Medien. Sein Fotoband „Zwischen Brücken“ mit Porträts und Ansichten der Brigittenau erschien 2020 in der FOTOHOF-Edition. Er ist Lehrbeauftragter für analoge Fotografie an der Fotoakademie Graz.