„Man spürt, dass etwas nicht stimmt
mit der Welt“
Die Schriftstellerin Manuela Tomić, 37, wohnt mit Freund und vielen Büchern über dem Volkertplatz. Die Erfahrung ihrer Flucht aus Sarajevo wirkt immer noch nach.

Alles Zufall. Dass ich nach der Hauptschule aufs Gymnasium gekommen bin, ist Zufall. Und dass ich heute Hörspiele schreibe, ist auch nichts anderes. Im ersten Corona-Jahr hat OE1 gemeinsam mit der Schule für Dichtung einen Kurzhörspielwettbewerb ausgeschrieben. Die Stücke durften maximal fünf Minuten lang sein. Ich habe ein Lockdown-Liebesdrama geschrieben: „Lieber zerfranst es mich“. Und damit auf Anhieb den 2. Platz gemacht und 500 Euro bekommen. Seither schreibe ich Hörspiele.
Preisgekrönte „Blasse Stunden“
Mit dem Regisseur Andreas Jungwirth habe ich dann das zweisprachige Stück „Blasse Stunden / Blijedi sati“ realisiert. Damit ist OE1 zum Prix Italia und zum Prix Europa gegangen. Und siehe da: beide Male ein Preis. Die Protagonistin Mira, Mitte 30, steigt im Jahr 1998 in Völkermarkt in Südkärnten in ein Auto, um nach Bosnien zum Begräbnis von Großvater Ivo zu fahren. Mira ist als Kind mit ihrer Familie vor dem Bosnienkrieg geflohen. Im Auto werden Erinnerungen wach und Geschichten erzählt.
Nun ähnelt das natürlich meiner eigenen Familiengeschichte. Ich bin als Vierjährige aus Sarajevo mit meinen Eltern in die Kärntner Gemeinde Völkermarkt gekommen und dort aufgewachsen. Diese Fluchterfahrung in einem Alter, wo man sich nicht wirklich erinnern kann, wirkt natürlich nach. Aber das eher in der Form von Gefühlen, weniger als Erinnerung. Man spürt einfach, dass etwas nicht stimmt mit der Welt. Insofern sind das dann eben autobiografische Gefühle.
Literatur statt Journalismus
Ich habe an der FH Journalismus studiert und 2010 abgeschlossen. Bis 2024 habe ich als Journalistin gearbeitet. Mal als Angestellte, mal als Freie, für „Die Furche“, für „Die Zeit“. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich doch lieber erfinden als berichten möchte. Also hab ich den Journalismus schließlich aufgegeben und mich für die Literatur entschieden. Das war nicht easy.
Im ersten Semester, ich war gerade 18 geworden, hat uns Armin Thurnher in seiner Stil-Vorlesung auf interessante Weise begrüßt: Alle, die sich befähigt fühlen, Literatur zu schreiben, die mögen jetzt bitte aufstehen, den Raum verlassen und nie wieder kommen. Wumm. Dieser Satz hat etwas gemacht mit mir. Literatur, habe ich damals gedacht, Literatur ist etwas so Tolles, das kann man ja nicht einfach so machen. Schon gar nicht, wenn man aus einer Arbeiterfamilie kommt.
Bittere Erfahrungen als Ausländerin
In Jugoslawien waren meine Eltern gute Mittelschicht, der Vater Speditionsunternehmer, die Mutter Abteilungsleiterin in einer Textilfabrik. Die Flucht hat da natürlich Spuren hinterlassen. Und die Erfahrungen eines Lebens als Ausländer:in sind generell auch nicht so aufmunternd, dass man mit besonders großer Zuversicht in die Welt aufbricht. Literatur war für mich also ziemlich weit weg, schien mir unerreichbar. Das erklärt dann auch, warum ich erst mit 32 damit angefangen hab.
Seither ist so viel Schönes passiert, dass ich nicht mehr aufhören kann. Ich bekomme viel Zuspruch. Leser:innen schreiben mir Briefe. Menschen identifizieren sich mit meinen Texten, auch wenn sie keinen Flucht- oder Migrationshintergrund haben. Seit „Blasse Stunden/Blijedi sati“ dann bei der OE1-Hörspiel-Gala 2024 auch noch als „Bestes Original-Hörspiel“ prämiert wurde, habe ich noch mehr Aufwind und vor allem auch die Bestätigung, dass das was ich mache, gut ist.
Erst Kaffee, dann schreiben
Nun kann ich von der Schriftstellerei alleine leidern nicht leben. Ich mache also Pressearbeit für das von Bruno Kreisky ins Leben gerufene „VIDC – Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation“. Das macht auch Spaß. Aber mein Tag beginnt mit dem Schreiben. Ich wache auf, mach mir Kaffee, lese keine Nachrichten, schaue nicht aufs Handy und setze mich an den Schreibtisch. Erst wenn ich etwas geschrieben habe, gehe ich in unser Büro im 3. Bezirk. Freitag, Samstag, Sonntag schreibe ich dann ganztags.
Jetzt gerade entsteht mein Roman-Debut. Nach meinem ersten, im Wieser-Verlag erschienen Buch „Zehnfingermärchen“ wurde mir das Literatur-Stipendium des Bundes zuerkannt. Ich muss jetzt also ein bissl mehr schreiben. Das freut mich auch weil ich im Schreiben zuhause bin. Mit meinem Freund, der als Philosoph und Dämonenforscher gerade seinen Post-Doc macht, wohne ich beim Volkertplatz. Schon allein die wundervolle Geräuschkulisse macht mir jeden Tag gute Laune: der Markt und dazu die vielen Kinder, die hier von früh bis ein Uhr nachts spielen und rumlaufen.
Vom Hannovermarkt an den Volkertplatz
Wir waren zuvor in der Brigittenau zuhause und haben den Hannovermarkt ins Herz geschlossen. Aber schon damals zog es uns irgendwie in den 2. Bezirk. Als wir dann ausziehen mussten, haben wir hier in einem Altbau eine sehr helle Wohnung mit Blick auf den Platz und mit vielen Bücherregalen gefunden. Sehr praktisch. Ich hänge wirklich an dieser Gegend. Offenkundig wohnen auch viele kreative Menschen in der Leopoldstadt. Das spürt man an allen Ecken und Enden. Wenn’s nach mir geht: ich will hier nie wieder weg.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Link:
https://www.verlagderautoren.de/autorinnensuche/portrait/autor/manuela-tomic.html
http://www.wieser-verlag.com/buecher/zehnfingermaerchen-978-3-99029-641-7/
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.