Warum willst Du die Else verkaufen, Roland?
Der Cafetier Roland Schweizer, 69, hat sich und sein Café Else auf der Heinestraße unverzichtbar gemacht. Jetzt reicht’s ihm.

Eigentlich wollte ich Paläontologe werden. Mit dem Studium war ich fast fertig. Die Recherche für meine Dissertation war weit fortgeschritten. Ich habe im Waldviertel und am Roten Meer in Ägypten geforscht, um zu erkunden, was noch übrig ist von der Parathetis, dem Meer, das vor rund 25 Millionen Jahren durch die Bildung der Alpen, der Karpaten und dem Kaukasus entstanden ist.
Damals standen im Waldviertel vermutlich Palmen. Es herrschten also ähnliche Bedingungen wie heute am Roten Meer. Ich habe Fossilien aus den Sandgruben bei Eggenburg untersucht und mit solchen aus dem Strandbereich am Roten Meer verglichen. Zurück in Wien habe ich dann im Naturhistorische Museum gearbeitet und wollte nebenher das Studium fertigmachen. Um es kurz zu machen: der Job war fad, ich brauchte Geld, hab gekündigt, rutschte in den ersten Gastro-Job: kellnerieren im Café Stein.
15 Jahren in Wiener Szenelokalen
Damals konnte man als Kellner gutes Geld verdienen. Nach drei, vier Jahren bin ich weitergezogen. Ein paar Jahre von einem Szenelokal ins andere, Donau, Skala, Bluebox. Das Geld war wichtig, weil ich zwischendurch immer wieder für ein halbes oder dreiviertel Jahr auf Reisen gegangen bin. Unterwegs in Indien habe ich meinen Sohn gezeugt. Julian ist dann 1997 in Wien zur Welt gekommen. Ich wurde ein großteils alleinerziehender Vater und musste echtes Geld heranschaffen. Nachts habe ich im rhiz gekellnert, tagsüber Julian versorgt.
15 Jahre ist das so gegangen. Es war anstrengend, aber auch abwechslungsreich, weil wir zusammen viel gereist sind. Vor der Einschulung waren wir ein paar Monate in Thailand, später während der Sommerferien immer möglichst lange unterwegs, in Portugal, in der Türkei.
Irgendwann hatte ich genug Geld gespart und wollte ein Jahr Pause machen, nachdenken, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen will. Da kam ein Bekannter mit dem Hinweis dazwischen, dass in der Heinestraße ein schönes Kaffeehaus seit zwei Jahren leersteht. In Wahrheit war es eine Bruchbude. Und zugleich Liebe auf den ersten Blick.
Alles neu auf Kredit
Ich hab mich mit der Hausherrin geeinigt und mit dem Ersparten und einem Kredit über 150.000 Euro alles neu gemacht. Die Decke, die Klos, die Küche, die Lüftung, jedes Kabel, jedes Rohr. Nur die alte Lamperie und die braunen und beigen Fußbodenfliesen sind geblieben. Und draußen die Schilder: CAFE ELSE.
Die Sache mit dem Namen war komplex. Den wollte ich unbedingt behalten. Aber die Vorbesitzerin, die unter diesem Namen ein so genanntes Anbahnungslokal geführt hatte, also einen Rotlichtbetrieb ohne Separées, war schon gestorben. Frau Else, im echten Namen Elisabeth Petritsch, war legendär und auch gut befreundet mit ihrer berühmt-berüchtigten Kollegin, der „wilden“ Wanda Kuchalek. Im Burgenland hatte ich Frau Petritschs Nichte ausgeforscht. Die ist ein paar Tage vor der Eröffnung schließlich nach Wien gekommen, um sich das Lokal anzuschauen. Sie war begeistert und überzeugt, dass ihre Tante ebenso hingerissen wäre. Also blieb es dabei: CAFE ELSE.

Ich wollte an einem Freitag Anfang August 2013 offiziell aufsperren. Es war alles fertig. Nur die Sessel fehlten noch, weil mir das Geld ausgegangen war. Ich war als Kellner stadtbekannt und recht beliebt. Also habe ich eine Einladung für den Vorabend ausgeschickt: ein soft opening mit der Bitte an meine Gäste, mir Stühle zu bringen. 70 Stück habe ich an diesem Abend bekommen. Ein paar davon stehen immer noch hier. Abgesehen davon war das unbeabsichtigt der beste PR-Gag: Alle Zeitungen haben über das neue Café Else berichtet.
Café Else war Stabilität
Zwölf Jahre lang war mir die Else jetzt Heimat. Ich komme aus einer total traumatisierten Familie. Mein Vater, aus Südmähren stammend, und meine Mutter, eine Sudentendeutsche, haben sich kennengelernt, nachdem sie im Krieg alles verloren hatten: ihre ersten Kinder, ihre Ehepartner, all ihre Besitztümer. Das hat unser Leben – ich hatte insgesamt zehn Geschwister, nur ein Bruder ist jünger als ich – geprägt. Die Else war Stabilität für mich.
Demnächst werde ich 70 Jahre alt sein. Ich bin müde und möchte die Nachdenkpause, um die ich damals umgefallen bin, nachholen. Mit anderen Worten: Ich will verkaufen. Die Else soll bleiben, was sie ist. Ein Lokal für meine Stammgäste, deren Wohnzimmer. Ein Lokal für meine Kellner, ohne die ich sie mir nicht vorstellen mag. Ein Ort für Kommunikation und Kunst und Kultur. Ein paar Details soll man meinetwegen verändern. Aber die Funktion, die das Lokal mit seinen Kellnern und seinem Publikum im Grätzl hat, muss geschützt und gestärkt werden. Es gibt ein paar Interessenten. Aber noch ist nichts fix.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer 
(www.ernstschmiederer.com)
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.








