Die Kalligrafin, Schriftkünstlerin und Designerin Claudia Dzengel, 57, war schon als Kind besonders zufrieden, wenn sie ein Wort dreißigmal schreiben musste.

Schon als Kind habe ich viel und gerne geschrieben. Schauen Sie, ich zeige Ihnen etwas: mein erstes Schulheft, eine Schreibaufgabe vom 4. April 1975. Meine Schrift. Und hier, in der Dose, meine erste Feder, ein blauer Pelikanfüller. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, direkt am Wald, südlich von Hildesheim in Deutschland. An Kuhweiden vorbei bin ich zur Schule gegangen, richtig schön. Ich war ein zufriedenes Kind, wenn ich als Hausaufgabe ein Wort zwanzig- oder dreißigmal schreiben musste. Diese Liebe zur Schrift trägt mich bis heute.
Die Liebe zur Kalligrafie
Ich habe Kommunikations- und Farbdesign studiert. Bei Gottfried Pott, einem bedeutenden Kalligrafen und Typografen, dem die Welt viele Schriftarten verdankt, habe ich meine Liebe zur Kalligrafie entdeckt. Er war der wichtigste Mensch für mich in diesem Studium. Ich wusste damals nicht, dass ich die Kalligrafie zum Beruf machen würde. In seinen Lehrveranstaltungen mussten wir schreiben. Die meisten haben das gehasst. Ich habe es geliebt und habe geschrieben. Und schreibe bis heute.
Überall liegen meine Übungsblöcke herum. Gutes Papier, meist A3-Format. Da reihe ich Buchstaben an Buchstaben. HNU. HNA. HNB. Immer so weiter. Obwohl Buchstaben unterschiedlich breit sind, entsteht eine ruhige Fläche. Oder hier, ein Block mit gebrochenen Schriften. Aus Buchstaben wachsen Geflechte, Strukturen. Die kann man auch lesen oder jedenfalls entziffern. Manchmal tanzen die Buchstaben über mein Papier. Da liegt Musik darunter. Und manchmal schreibe ich stundenlang den einen Strich immer wieder. Ich ziehe die Feder oder den Pinsel in ständiger Wiederholung übers Papier.
Leitsystem für Gasometer und Asfinag
Nach Wien bin ich nach dem Studium gekommen, um bei einem Architekten als Farbdesignerin zu arbeiten. Viele Jahre habe ich mich mit der Gestaltung von Leit- und Orientierungssystemen beschäftigt. Mein damaliger Partner und ich haben das Grafik-Design-Büro Dzengel+Osten betrieben, die Gasometer waren unser erstes großes Projekt. Dann kamen Die Häuser zum Leben. Die Asfinag. Die Kunsthalle Wien. Und zuletzt ein großer Neubau der Klinik Favoriten (gemeinsam mit Regula Widmer). Da ist mein Herz für die Leitsysteme noch mal richtig aufgeblüht. Ich war früher Krankenschwester, auch während des Studiums, um mich zu finanzieren. Und ich bin eine Aufräumerin, ich strukturiere gerne. So ein Krankenhausgebäude mit Schrift, mit Farbe, mit Gestaltung zu ordnen, war eine wunderbare Aufgabe.

Ein Berufs-Coaching hat mich nach einer längeren Kinderpause und Trennung vom Partner wieder auf den Weg der Kalligrafie gebracht. Ich sollte meine Ziele formulieren. Irgendwann, habe ich gesagt, möchte ich ein Kinderbuch über Kalligrafie machen. Meine Coach hat mich mit der Nase darauf gestoßen: irgendwann ist jetzt. Ich wusste eigentlich alles, was ich dazu wissen musste. So sind zwei Bücher entstanden. Schritt um Schritt habe ich meine Arbeitsfelder ausgebaut.
Kalligraphie an Schulen
Ich unterrichte Kalligrafie an Schulen und Universitäten, in der Lehrerfortbildung, in Museen und im Rahmen von Workshops und Seminaren auch hier in meinem Studio. Ich gestalte individuelle Auftragsarbeiten, etwa Urkunden, Bücher, Plakate. Gelegentlich statte ich Filme mit meinen Schriften aus, zuletzt „B wie Bartleby“ von der österreichischen Filmemacherin Angela Summereder. Und ich arbeite an freien Werken, die ich ausstelle und verkaufe.
Für das Schrift- und Heimatmuseum im oberösterreichischen Pettenbach habe ich gerade drei Vitrinen gestaltet. Und zwar mit Werkzeugen, die ich beim Kalligrafieren benutze. In der einen habe ich jede Menge Federn und klassische Kalligrafie-Werkzeuge gesammelt. In einer zweiten sind Schwämmchen, Hölzer, Pommesgabeln, Zahnbürsten zu sehen. Und in der dritten werden historische Schreibwerkzeuge, also Gänse- und andere Federkiele, Rohrfedern aus Schilf, Wachstafel mit Griffel und asiatische Schreibutensilien gezeigt.
Pendeln zwischen Garten und Brigittenau
Jetzt im Sommer pendle ich zwischen meinem Garten und der Brigittenau. Ich fahre kaum in Urlaub, weil mit dem Arbeiten viele Reisen zu schönen Orten verbunden sind, zum Kloster Neustift in Südtirol etwa oder zum Stift Reichersberg in Oberösterreich. Aber mein kleines Häuschen mit dem Garten im Norden von Wien ist wichtig für meine Regeneration. Dort bin ich ungestört mit all den Pflanzen und meinem selbstgezogenen Gemüse. Nach ein paar Tagen freue ich mich aber auch wieder auf die Brigittenau.
Lange habe ich im zweiten Bezirk gelebt. Seit 15 Jahren bin ich nun in diesem Haus in der Karl-Meißl-Straße. Im zweiten Stock liegt mein Atelier, darunter die Wohnung. Schöner könnte ich es mir nicht wünschen.
Im Grunde lebe ich hier wie in meinen Kinder- und Jugendjahren auf dem Dorf. Ich kenne, treffe und grüße jede Menge Menschen in der Umgebung. Jetzt gerade bereite ich meine Mitwirkung an der Riviera Brigittenau vor, unserem Kulturfest am Wallensteinplatz am 6. September. Ich werde mein Atelier für Interessierte öffnen und zum kalligrafischen Arbeiten einladen. Zum Schreiben.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Links: https://claudia-dzengel.com
https://www.instagram.com/claudiadzengel
https://www.rivierabrigittenau.at
https://typographischegesellschaft.at/de/raabs25/ausstellungen
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.