„Mein Ziel ist es, etwas Einzigartiges zu erschaffen”
Der ehemalige Schauspieler und IT-Maschinist Herbert Gnauer, 63, werkt als Sendungsmacher bei Radio Orange am Gaußplatz.

Das Studio von Radio Orange hier am Gaußplatz ist wie meine Wohnung im 18. und die meiner Freundin im 2. Bezirk seit über 20 Jahren einer meiner Lebensmittelpunkte. Jeden Montag um halb zehn Uhr komme ich hierher, um mit dem jeweiligen Gast pünktlich um zehn meine Gesprächssendung „Radio Dispositiv“ zu beginnen.
Seit 2014 ist dabei meine sehr individuelle mindmap entstanden. Kultur, Musik, Technologie – aus einem sehr breiten Katalog suche ich mir jeweils ein Thema, zu dem ich Fragen habe und einen Gast finde, der sie beantworten kann. Manchmal läuft das einfach wie ein Interview, ich frage, der Gast antwortet. Mein Ziel ist es aber, die Menschen in ein Gespräch zu verwickeln, also etwas Einzigartiges zu erschaffen, quasi ein Stück live auf die Bühne zu bringen.
Erster Piratensender in der Brigittenau
Nach Möglichkeit verzichte ich auf das bei anderen Livesendungen übliche Vorgespräch. Das tut dem eigentlichen Gespräch in den meisten Fällen sehr gut. Und wenn ich nicht gerade auf Urlaub bin, also etwas vorproduzieren muss, dann finden die Gespräche auch live statt. Live – das hat mich als Radiohörer wie auch als Radiomacher immer schon fasziniert: Jetzt spricht jemand zu uns, jetzt, das ist etwas Besonderes. Und noch eine Beobachtung: Es ist erstaunlich, wie viele Leute am Montag Vormittag Zeit haben, mein Gast zu sein.
Die Brigittenau nimmt in der Geschichte des Radios eine besondere Stellung ein. Die „Telephon- und Telegraphenfabrik Czeija, Nissl & Co.“ residierte ab 1907 auf Dresdner Straße 75 und betrieb ab 1923 – also schon ein Jahr vor Gründung der RAVAG – hier den ersten Hörfunksender Österreichs, Radio Hekaphon. Die Post- und Telegraphenverwaltung tat die Sendungen damals als „groben Unfug“ ab. Die Regierung entschied 1924, dass der Betrieb des Senders illegal sei und daher eingestellt werden muss. Retrospektiv gesehen war Radio Hekaphon also ein Piratensender und so gesehen ein Vorläufer der freien Radios.
Nachbarskinder mussten mitspielen
Ich habe bei der faszinierenden Dorothea Neff, einst Doyenne des Wiener Volkstheaters, Schauspiel gelernt. Sie war damals bereits erblindet, aber geistig hellwach, bestens informiert und zu unglaublicher Aufmerksamkeit und Empathie fähig. Sie hörte definitiv mehr als ich zu sehen imstande war. Mein Vater war Sänger im Staatsopernchor. Ich hatte also eine gewisse Nähe zur Bühne und darüber die Chance, in einer Saison in Salzburg gleich drei Aufführungen des Jedermann zu sehen. Ich hab mir dann das Buch gekauft, konnte den Text bald auswendig und wollte die Nachbarskinder immer zum Mitspielen vergattern. Die waren unübersehbar wenig begeistert.
Bald habe ich mit Dieter Haspel am Ensembletheater gearbeitet und zwölf Jahre lang mit der Schauspielerei mein Brot verdient. Nachdem ich Anfang der 1990er Jahre aber Vater geworden war und mich sesshaft machte, hat mir jemand meinen ersten IT-Job angeboten.
In der Brigittenau bestens aufgehoben
Damals gab es noch keine einschlägig Ausgebildeten, für Quereinsteiger standen also die Türen offen. So bin ich Schritt für Schritt auch zur Netzkulturinitiative Public Netbase, über mein Interesse für das Thema Datensicherheit zu epicenter.works und schließlich 2004 zu Radio Orange gekommen. Bis 2015 hatte ich hier einen bezahlten Job; seither bin ich ehrenamtlich tätig. Und zwar aus Überzeugung. Ich kann selbstbestimmt und ohne redaktionelle Vorgaben Sendungen machen. Und ich kann mir meine Gäste aussuchen, wo immer ich sie auch finde – im Beisl, in der Zeitung, bei Veranstaltungen.
Mit meiner Schwäche für das Multikulturelle bin ich sowohl bei Radio Orange als auch in der Brigittenau bestens aufgehoben. Während der 2. Bezirk inzwischen stark gentrifiziert ist, dominiert hier noch die Vielfalt. Teils sind die Häuser schön renoviert, teils ist es aber auch noch richtig grau. Das Café Prindl ist modernisiert, das Café Frame trägt noch die Patina der vergangenen Jahrzehnte. Viele Freunde und Kolleginnen wohnen im Bezirk. Und immer wieder treffe ich auch unsere Hörer*innen.
Gefürchteter Gaußplatz
Der Gaußplatz, der sich vor unserem Fenster heute als grüne Oase mit Sportkäfig und Kastanienbäumen präsentiert, war einst eine bei Führerscheinprüflingen gefürchtete Spezialherausforderung: Ein total unübersichtliches Kreisverkehrschaos von Spuren und zwei Straßenbahnlinien war zu durchqueren, um schließlich über die Brücke zur Polizeistation bei der Rossauer Kaserne zu gelangen und schweißgebadet aus dem Fahrschulauto steigen zu können.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Links:
https://www.no-na.net
https://o94.at/programm/sendereihen/radio-dispositiv
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.