Gesucht: frisches Geld und junge Menschen
Margret Lammert (62) und Werner Gilits (65) sorgen mit der Redaktion des Grätzl-Blattls seit zehn Jahren für dessen Erscheinen. Wie lange noch?

Manchmal fällt erst auf, wie lieb einem etwas geworden ist, wenn es nicht mehr da ist. Mit diesem Satz haben wir das Editorial unserer 0-Nummer begonnen.
Gegründet wurde das Grätzl-Blattl ursprünglich im Rahmen der Gebietsbetreuung, aber 2013 war nach fast zehn Jahren Schluss. 2014 haben sich bei Roland im Café Else dann ein paar Leute getroffen, denen das Blattl gefehlt hat. Da war auch Sissi dabei, die seit der Gründung schon in der Redaktion aktiv war. Unsere erste reguläre Redaktionssitzung haben wir nach der Räumung der Pizzeria Anarchia abgehalten.
Das Gebäude in der Mühlfeldgasse 12 mit dem leerstehenden Pizzalokal im Parterre war damals besetzt, um die Vertreibung der dort lebenden Menschen durch einen Immobilienspekulanten zu verhindern. Pizza bleibt!, lautete die Parole der Punks, die im auch den Ofen befeuert, Pizza gebacken und gegen Spende abgegeben haben.
Erster Bericht über „Pizzeria Anarchia“
Über die Räumung der Pizzeria Anarchia haben wir in der ersten von uns gestalteten Ausgabe berichtet: „1.700 Polizisten haben es geschafft, die Pizzapunks aus dem Spekulationsobjekt zu entfernen”, hieß es in dem Text. Im Beitrag eines Grätzl-Bewohners wurde die Frage behandelt: Was verbindet uns mit den Pizzeria-Leuten und was trennt uns? All das und die weiteren zehn Jahrgänge kann man bis heute im Archiv auf graetzl-blattl.at nachlesen. Wie weit dieser zweite Start schon zurückliegt, ist auch an dem Umlaut in der web-Adresse ersichtlich; heute kann man im Internet auch schon ä sagen.
Was uns damals schon nicht gefallen hat, ist dieses unsägliche Wiesn-Fest im Prater, bei dem Jahr für Jahr öffentlicher Raum – die schöne Kaiserwiese! – für private Gewinnmaximierung missbraucht wird. Also haben wir in der 0-Nummer auch über „die Karawanen von uniformierten Trachtenpärchen“ geschrieben und ein lustiges Cover-Bild dazu gestaltet: eine Gruppe von lederbehosten Männern, die aus Island zum Fest angereist waren und bereitwillig für unsere Fotografin posierten.
NICHTS MEHR VERPASSEN

Wir wohnen beide im Zielgebiet des Grätzl-Blattls. Gemeinsam mit unserem Obmann Roland Schweizer bilden wir auch den Vorstand des Herausgeber-Vereins. Viermal im Jahr wird die 16 Seiten starke Zeitung in einer Auflage von 9.000 Stück produziert. Im Café Else kann man sie selbst abholen. Und sie wird an alle Haushalte im Volkert- und Alliiertenviertel verteilt.
Leider sind immer mehr Häuser mit komplizierten Kartensystemen gesichert, der Zugang und die Zustellung wird damit komplizierter bis unmöglich. Und außerdem, was Wunder, plagen uns akute Geldsorgen. Wir arbeiten zwar alle ehrenamtlich, aber Druckerei und Zustellfirma müssen bezahlt werden.
Bezirksvorstehung stellte Unterstützung ein
Das ist uns all die Jahre über einigermaßen gelungen. Über Inserate, von denen manche sogar regelmäßig geschaltet wurden. Wir erhielten immer wieder Spenden. Leserinnen, Freundinnen und Bekannte haben die Zeitung unterstützt. Und wir haben Förderungen beantragt. In jüngster Zeit aber bleiben die aus, weil wir mit bedrucktem Papier angeblich nicht auf der Höhe der Zeit seien.
Die Spenden werden weniger, weil die Spender nach und nach in Pension sind und weniger Geld haben. Obendrein hat die Bezirksvorstehung ihren bis dahin so regelmäßigen wie bescheidenen Beitrag 2023 abrupt eingestellt. Auch die Gebietsbetreuung, die in jeder Ausgabe eine Seite gebucht hatte und damit 30 Prozent unserer Kosten gedeckt hat, inseriert nicht mehr.
Langer Streit um Supergrätzel-Studie
Wir hatten uns erlaubt, die Ergebnisse der Pilotstudie „Supergrätzl Volkertviertel“ einzufordern, um darüber zu berichten. Nach einer langen Phase der Erfolglosigkeit haben wir uns schließlich an den Verwaltungsgerichtshof gewandt. Die Richterin hat unseren Anspruch als rechtmäßig erkannt, der Bezirksvorsteher musste reagieren. Seither dürfen wir unsere Zeitung nicht mehr im Bezirksamt auflegen.
Heute kann man immerhin die Realität an dieser Studie messen und dabei die Kluft erkennen, die zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen klafft. Von einem Supergrätzl ist jedenfalls längst nicht mehr die Rede. Positiv gewendet: es gibt auf Jahre hinaus noch genug zu tun für ein Blatt wie unseres. Das merken wir auch an der Zahl der Beiträge, die uns Ausgabe für Ausgabe erreichen.
Was uns außer dem Geld aber wirklich fehlt: Nachwuchs für die Redaktion. Wir sind mittlerweile alle jenseits der 60.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Link: https://graetzl-blattl.at/zeitung/pilotstudie-supergraetzl-volkertviertel
Spenden gerne an: Verein Grätzl-Blattl, Volksbank AT49 4300 0460 0078 1008
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.