Marta (48) und Atila Delibalta (56) betreiben eine Änderungsschneiderei in der Brigittenau – vermutlich die kleinste der Stadt.

Wir haben alles gut im Griff hier drin. 11,6 oder 11,4 Quadratmeter misst das Geschäft, so genau wissen wir das nicht. Da hat alles Platz, was wir brauchen. Wir sind aber auch wirklich gut organisiert. Ich weiß, was ich zu tun habe. Und Atila, mein Mann, weiß, was er zu tun hat. Seit 2006 arbeiten wir hier zusammen. Und bis jetzt funktioniert alles bestens. Ich stamme aus Südpolen.
Eine Familie der Schneider
Und ich, Atila, komme aus Pazarcik, einer Stadt im Südosten der Türkei. Ich bin Kurde und auch Alevite. Aufgewachsen bin ich bei meiner Oma, noch in der Türkei. Dort habe ich auch die Schneiderei gelernt, bei meinem Onkel.
Meine Eltern haben damals in Deutschland gearbeitet und meine beiden Geschwister mitgenommen. Erst nachdem sie dann alle 1988 nach Wien gezogen waren, bin ich dazu gekommen. Mein Papa hat dann Anfang der 1990er Jahren die Änderungsschneiderei hier gegründet.
Lederjacke und Badetuch
Wir machen heute alles, jede Art von Änderungsschneiderei. Hier liegt eine fast 50 Jahre alte Lederjacke, die braucht ein neues Futter und einen neuen Reißverschluss. Dort, dieses auch schon 25 Jahre alte und sehr, sehr dünne Rapid-Badetuch, muss an den Rändern neu gefasst werden – ein Lieblingsstück unseres Kunden, das er auf keinen Fall wegschmeißen will.
Man muss halt kreativ sein, man muss Ideen haben, wie man etwas wieder hinkriegen und frisch machen kann. Wir geben jedem Stoff eine zweite Chance. Und genau das macht uns Spaß – vor allem aber auch, weil wir es gemeinsam machen, weil wir jeden Tag miteinander arbeiten.

Wir haben vier Söhne, 19, 18, 14 und zehn Jahre alt. Einer geht im 22. zur Schule, einer im 19. und die zwei jüngeren sind noch hier in der Brigittenau, einer im Polytechnikum, der andere in der Europaschule auf der Vorgartenstraße.
Wir sind alle begeisterte Läufer und oft auf der Donauinsel oder im Prater unterwegs. Gelegentlich läuft der eine bei einem Wettbewerb mit, Marathon, Halbmarathon, da muss trainiert werden. Dann wieder laufen wir einfach so weil’s uns gerade gut geht.
Zuhause in Brigittenau und Bibione
Weil wir alle Wiener sind, fahren wir seit vielen Jahren auch immer wieder in unsere zweite Heimat, nach Bibione. Als die Kinder klein waren, haben wir jeden Urlaub dort verbracht. Inzwischen sind wir da fast so zuhause wie in der Brigittenau. Und auch sonst reisen wir gerne und meistens schnell.
Wir haben viele Verwandte in aller Welt, Cousins, Cousinen. In Florida. In Rochester an der kanadischen Grenze. Und in Deutschland. Jetzt fahren wir schnell nach Hessen, eine Nichte heiratet, da müssen wir dabei sein. Nur übers Wochenende natürlich, am Montag haben wir ja wieder alle zu tun hier in Wien.
In den letzten Jahren hat sich die Umgebung hier sehr verändert. Viele alte Österreicher sind entweder weggezogen oder gestorben. Viele neue Leute sind gekommen. Am meisten Deutsche. Und viele Ukrainer. Natürlich Leute aus dem Nahen Osten, aus Syrien. Und Afghanen.
Neuer Trend zum Recycling
Früher hat es viele unterschiedliche Geschäfte gegeben. Jetzt gibt’s überall Essen. Kebap und alles Mögliche. Früher haben wir sehr viel Geschäft von einem Herrenausstatter hier im Bezirk bekommen. Da sind viele Leute auch aus Niederösterreich zum Einkaufen gekommen und dann wurde die neue Ware bei uns passend gemacht. Hosenbeine gekürzt, Sakkoärmel rausgelassen. Da waren wir im Schnitt zwei Tage die Woche damit beschäftigt.
Heute haben wir dafür einen ganz anderen Trend. Die Leute kaufen nicht mehr so viel Neues. Viele Menschen sind umweltbewusst geworden. Die kommen mit dem Fahrrad zu uns und bringen ihre alten Sachen zur Reparatur oder auch zum Umschneidern. Das sind natürlich meistens junge Menschen, die auch nicht so viel Geld haben oder ausgeben wollen. Aber auch Leute, die sich neue Sachen kaufen, im Internet, im Donaucenter oder in der Millennium City, kommen zu uns.
Kleider, die man von der Stange kauft, passen ja nicht gleich jedem. Auch da gibt’s also genug für uns zu tun. Im Moment können wir jedenfalls nicht klagen. Das Geschäft geht gut.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Änderungsschneiderei Delibalta
Wallensteinstraße 51, 1200 Wien
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag: 08:30 bis 12:00 und 13:00 bis 18:00 Uhr
Samstag: 08:30 bis 12:00
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.







