In seiner Kanzlei in der HausWirtschaft erklärt der streitbare Rechtsanwalt Clemens Lahner, 47, warum er nichts gegen die Polizei hat, sich aber trotzdem immer wieder mit ihr anlegen muss.

Ich bin ein untypischer Anwalt, habe etwas Rebellisches an mir und mit Schickimicki nichts am Hut. Ich arbeite nicht für Banken und nicht für Versicherungen. Ich mache keine großen Deals, keine Mergers & Acquisitions. Ich bin mit meiner Kanzlei für einfache Leute da. Wir kämpfen für die Grundrechte der Menschen. Und wir wollen die Welt zumindest im Kleinen zum Besseren verändern.
Aus der Burggasse in die Leopoldstadt
Seit 15 Jahren bin ich Rechtsanwalt. Lange habe ich in der Kanzlei von Nadja Lorenz in der Burggasse gearbeitet und dort alles gelernt, was ich kann. Aber irgendwann war es an der Zeit, eigene Wege zu gehen. Seit Herbst 2023 bin ich jetzt hier in der HausWirtschaft in der Bruno-Marek-Allee.
Unsere Kanzlei liegt im ersten Stock, neben dem Kindergarten. Im Stock über uns sind neben allerhand Kleinbetrieben auch die Besprechungsräume untergebracht, die man je nach Bedarf bucht. Mit meinem Team gelte ich hier schon als Großgewerbetreibender: Ab Jänner werden wir schon zu siebt arbeiten – eine Sekretärin, eine Buchhalterin und dazu vier Konzipientinnen, von denen eine wohl auch bald Rechtsanwältin sein wird.
Grundsätzlich nicht gratis
Wir sind spezialisiert auf Verfahren im Kontext der Grund- und Menschenrechte. Und wir vertreten Menschen, die Schutz vor Verfolgung suchen, die von Gewalt betroffen sind, ihrer Freiheit beraubt oder Opfer rechtswidriger Übergriffe durch die Polizei wurden. Wir haben als Team den Ruf, dass wir politisch sensibel sind und die juristische Erfahrung mitbringen, um auch etwas ausrichten zu können. Menschen, die irgendetwas satthaben, die zum Beispiel nicht mehr wegen ihrer Hautfarbe von der Polizei aufgehalten werden wollen, wenden sich häufig an uns. Und das freut uns natürlich, weil es zeigt, dass wir mittlerweile einschlägig bekannt sind.
Nun liegt es auf der Hand, dass man mit diesem Tätigkeitsprofil nicht unbedingt reich wird. Und man kann sich auch gut vorstellen, dass der Betrieb einer Kanzlei in dieser Größenordnung entsprechende Umsätze erfordert. Daraus folgt, dass wir grundsätzlich nicht gratis arbeiten können. Auch Asylwerber müssen uns bezahlen. Aber wir kalkulieren kulant und versuchen, den Menschen möglichst entgegenzukommen. Vor allem aber holen wir uns das Geld, dort wo es ist. Etwa über Maßnahmenbeschwerden beim Bund.
Beschwerde gegen Einsatz am Peršmanhof
Ein Beispiel: Den Polizeieinsatz beim antifaschistischen Bildungscamp in der NS-Gedenkstätte am Kärntner Peršmanhof hat die vom Innenministerium eingesetzte Untersuchungskommission mittlerweile als teilweise rechtswidrig erkannt. Wir haben im Namen von drei Teilnehmenden dieses Camps, die von der Polizei rechtswidrig zur Identitätsfeststellung gezwungen wurden, Maßnahmenbeschwerden eingebracht.

Die Arbeit dieser Kommission ist großartig und hat eine Informationsdichte erbracht, die mich auch den Ausgang des Verfahrens betreffend zuversichtlich stimmt. Wenn wir das Verfahren gewinnen, was ich hoffe, dann muss die Polizei auch das Honorar nach Anwaltstarif zahlen.
Ein anderes Beispiel: Wir arbeiten sehr intensiv im Asyl- und Fremdenrecht. Da geht es von einem Innenminister zum nächsten doch immer vorrangig um Verschärfungen. Mitunter wird schon wieder etwas novelliert noch bevor die vorhergehende Novelle überhaupt in Kraft getreten sind. Als Staatsbürger und als Mensch ist mir das natürlich zuwider. Als Unternehmer muss ich feststellen, dass das Innenministerium für uns als Arbeitsbeschaffungsmaschinerie funktioniert.
Keine Verteidigung von Nazis
Im Bereich des Strafrechts sind wir sowohl als Vertreter von Verbrechensopfern als auch in der Strafverteidigung engagiert. Allerdings machen wir da zwei Ausnahmen: Wir arbeiten nicht für Nazis und übernehmen auch kein Mandat von Sexualstraftätern. Natürlich haben auch solche Menschen einen fairen Prozess verdient. Aber für mich persönlich geht sich das einfach nicht aus. Dazu kommt ein Zweites: Wir wollen nicht riskieren, dass ein Mensch, der Opfer solcher Handlungen geworden ist, im Wartebereich unserer Kanzlei neben einem Täter zu sitzen kommt.
Oft werde ich gefragt, etwa bei Vorträgen in Schulen, ob ich gegen die Polizei bin. Nun ist es so, dass manche Menschen die Polizei supertoll finden während andere sie aus Gründen hassen. Unterschiedliche Menschen erleben Polizei eben unterschiedlich. Die Schwierigen, die Alkoholiker, die Armutsbetroffenen, die Andersaussehenden machen andere Erfahrungen mit der Polizei als wir Whities und Ösis.
Das Ziel: Eine bessere Polizei
Wir können feststellen, dass unsere heutige Polizei jedenfalls besser ist als die Polizei es früher war. Aber: Wir sehen natürlich auch, dass wir eine bessere Polizei haben könnten. Eine gute police force schaut so aus wie die Gesellschaft. Sie soll ebenso divers, ebenso migrantisch, ebenso weiblich, ebenso queer sein. Um diesem Ziel näher zu kommen, brauchen wir neben einer guten Fehlerkultur eben auch Menschen, die die Courage haben, sich mit der Polizei anzulegen, etwa Anwältinnen und Anwälte, die sich auf die Hinterfüße stellen.
In diesem Sinn fühle ich mich herausgefordert. Ich weiß, dass man einen großen Teil des Monats dafür arbeitet, die Kanzlei zu finanzieren. Erst in den letzten Tagen hat man die Freiheit, das Geld zu verdienen, um sich einen neuen Mercedes zu kaufen.
Viel Freude auch ohne Mercedes
Ich werfe es niemandem vor, wenn er sich für den Mercedes entscheidet. Aber ich bin froh, dass ich mich selbst dagegen entscheiden kann: Wenn wir im Asylrecht einen Fall gewinnen, dann resultiert daraus oft ein neues Leben für eine ganze Familie. Wenn mir jemand sagt, dass wir mit unserer Arbeit Sinn gestiftet haben, dann berührt mich das sehr. So viel Freude könnte mir kein Mercedes dieser Welt machen.
Zum Schluss noch ein Appell: Wir Anwälte sprechen sehr oft für andere Menschen. Aber: Bevor wir sprechen, sollten wir erst einmal gut zuhören. Nur dann kann man auch eine gute Lösung finden, mit der beide Seiten gut leben können.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Link: www.clemenslahner.at
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger (edition IMPORT/EXPORT), Autor und Archivar („Geschichten der Gegenwart“). Er hat für profil und Die Zeit gearbeitet, war Lektor an der Sigmund Freud Uni und wurde von der Stadt Wien mit dem Preis für Volksbildung geehrt. Er lebt in der Leopoldstadt und im Weinviertel.
Kontakt: ernst@zwischenbruecken.at







