Christoph Schabetsberger, 36, arbeitet beim Verein „GeLa Ochsenherz” und möchte in der Heinestraße das solidar-ökonomische Prinzip sichtbar machen.

Vor dem Ausbruch der Pandemie war ich dreieinhalb Jahre in Asien auf Reisen, zwei davon mit meiner Frau Conny. Zuletzt waren wir in Laos und sind unabsichtlich pünktlich zum Lockdown in Wien gelandet. Das war an sich schon ein ziemlicher Flash. Als wir dann in den Supermärkten Gemüse kaufen wollten, der nächste Frust: Die Bio-Tomaten kamen aus Spanien, es gab kaum saisonal passende Ware.
Null Ahnung von Landwirtschaft
Wir waren echt unzufrieden. So haben wir den Verein „Gemeinsam Landwirtschaften GeLa Ochsenherz“ entdeckt, eine solidarische Landwirtschaft (SoLaWi), die auf Feldern in Gänserndorf Bio-Gemüse produziert. Neben der Mitgliedschaft gab es auch die Möglichkeit der Mitarbeit. Das hat mich überhaupt nicht interessiert. Ich hatte Null Ahnung von Landwirtschaft. Und wollte daran eigentlich auch nichts ändern.
Jetzt bin ich seit drei Jahren landwirtschaftlicher Mitarbeiter bei Gela Ochsenherz, arbeite auf dem Feld und kümmere mich auch um unsere jüngste Errungenschaft, den Solidar:Raum in der Leopoldstadt auf der Heinestraße 30.
Solidar:Raum in der Heinestraße
Früher wurden hier Designer-Möbel verkauft, dann stand der Laden eine Zeit leer. Seit Juni sind wir – GeLa Ochsenherz und Ouvertura, ebenfalls eine SoLaWi – hier eingemietet, nicht zuletzt mit der Idee, dem solidar-ökonomischen Prinzip auch ein bissl Sichtbarkeit zu verschaffen. Anstatt die Menschen auf die Bedürfnisse der Ökonomie zuzurichten, sollte sich Wirtschaft doch an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Die Bereitschaft zum Austausch und zur Vernetzung ist dabei essentiell. In diesem Sinn ist dieser Solidar:Raum offen für solidarökonomische Initiativen jeder Art. Aber auch für unsere Mitglieder, wenn sie Workshops anbieten oder Sitzungen abhalten wollen.
Die Grundidee ist simpel: jeder soll sich unabhängig von der eigenen finanziellen Situation dasselbe leisten können. Beim Gemüse sieht das dann so aus: GeLa Ochsenherz bewirtschaftet zehn Hektar Land, hat 500 Mitglieder, versorgt 400 Haushalte mit Gemüse und vergibt 300 Ernteanteile, die man auch teilen kann. Es gibt jedes Jahr für 50 Wochen Gemüse, der Richtwert für einen Ernteanteil beträgt 157 Euro pro Monat. Jedes Mitglied schätzt sich selber nach seinen Möglichkeiten ein. Wer mehr zahlen kann, zahlt mehr, wer sich das nicht leisten kann, zahlt weniger. Der Verein macht damit keine Gewinne und hat nur geringfügige Rücklagen. Wir Angestellten verdienen knapp über dem Landwirtschafts-Kollektivvertrag. Am Ende geht sich alles gerade so aus, könnte aber besser sein.
14 Abholstationen und Stand am Naschmarkt
Bislang gab es neben unserem Stand am Naschmarkt 14 Abholstationen, die wöchentlich mit frischem Gemüse beliefert wurden. Jetzt kommt diese Adresse in der Heinestraße mit einer Neuerung dazu: die flexible Entnahme. Während sonst jeder Ernteanteil in ein Kisterl verpackt wird, stellen sich die Mitglieder hier ihre Auswahl nach Bedarf und möglichst rücksichtsvoll selbst zusammen. Zudem hat man zwei Tage lang Zeit für die Abholung.
Jetzt im Sommer ist unser Angebot natürlich besonders üppig: diese Woche zum Beispiel Erdäpfel, Zucchini, Gurken, Paradeiser, Salate, Paprika, Chilis. Und natürlich die Ochsenherz-Karotten, die auch unser Logo zieren. Und dazu noch Shiso, eine Gewürz- und Heilpflanze, die sowohl in der japanischen als auch in der koreanischen Küche allgegenwärtig ist.
„Nimm, was du brauchst“
Obendrein halten unsere Freund:innen von Ouvertura hier ihre Lebensmittel vorrätig: Eier und Honig, Speisepilze, Obst, Tees und Kräuter, Fruchtmus, Pesto und Eintöpfe. Und zwar nach dem Prinzip: Nimm, was Du brauchst – und gib, was Du kannst.
Noch sind wir hier mit dem Einrichten beschäftigt. Wir brauchen eine Küche, damit wir auch Workshops anbieten können. Viele unserer Mitglieder sind wunderbare Köche, manche verstehen etwas vom Fermentieren, andere vom Einkochen. Da ist eine große Bandbreite zu erwarten. Zudem wollen wir ins Grätzl hineinwirken und wenn möglich den Platz vor unserer Tür bespielen.
Wohnen in der Schuhschachtel
Conny und ich sind gerade Eltern geworden, unser Sohn Alfred ist vier Wochen alt. Wir wohnen in einer Schuhschachtel, einer 55-Quadratmeter-Wohnung in einem Plattenbau beim Augarten. Das war vorher schon eng. Jetzt können wir es kaum noch erwarten bis wir nächstes Jahr in unser Wohnprojekt „Treibhaus“ im Donaufeld übersiedeln können.
Eigentlich wären wir auch gerne in das „Wohnprojekt Wien“ am Bednar-Park eingezogen. Conny führt dort den „Salon am Park“, Greisslerei und Café in einem. Gemeinsam mit anderen haben wir für diesen Betrieb ein Genossenschaftsmodell entwickelt, auch an den Grundsätzen der Solidarökonomie orientiert. Eigentlich wäre es an der Zeit, das auch für GeLa Ochsenherz anzugehen. Für einen Jahresumsatz von 600.000 Euro ist eine Vereinsstruktur längst nicht mehr angemessen. Und das Gründen von Genossenschaften boomt ja gerade unübersehbar. Auch in der Hinsicht sehe ich im neuen Solidar:Raum viel Potential.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Links:
www.ouvertura.at
http://www.ochsenherz.at
Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.