Es wirkt wie Spazierengehen und ist doch Beziehungsarbeit: Der Verein Back Bone versucht in der Brigittenau Brücken zu bauen – zwischen Jugendlichen und einer Gesellschaft, die sie oft übersieht.
Text: Naz Küçüktekin, Fotos: Chris Mavrič

Zwischen Beton und Wiese beginnt der Abend. Es ist ein ganz normaler Wochentag. Und doch wirkt der Sachsenpark wie eine kleine Bühne: Eltern sitzen auf Bänken, Kinder jagen lachend über die Wiese, am Käfigplatz fliegt ein Ball durch die Luft.
Pizza funktioniert immer
Am Rand des Geschehens stehen Birgit Sekanina, Anuska Darsan und Thomas Faul. Routiniert lassen sie den Blick schweifen, immer auf der Suche nach bekannten Gesichtern, und jenen, die zu solchen werden könnten. Gerade wollen sie weiter, da ruft eine Gruppe Jugendlicher: „Hallo Thomas!“ Einer im Messi-Trikot winkt. „Können wir morgen wieder Pizza machen?“
„Mit Pizza haben wir echt viel Erfahrung. Das funktioniert super“, erzählt Faul danach. Mit „wir“ meint er den Verein Back Bone, eine Einrichtung der offenen Jugendarbeit in der Brigittenau, deren Geschäftsführer er ist.
Ankerpunkt in der Pappenheimgasse
In der Pappenheimgasse gibt es eine große Küche, einen Gemeinschaftsraum, bepflanzte Hochbeete im Garten und sogar ein Tonstudio. „Wobei das viele auch nutzen, um Videos für ihre Social-Media-Kanäle zu machen“, sagt Faul. Entscheidend sei nicht das konkrete Angebot, sondern dass Jugendliche einen Raum haben, in dem sie sich wohlfühlen. „Unser Ziel ist es, dass sie ein lebenswertes Leben nach ihren Vorstellungen führen können – mit Ausbildung, Arbeit, finanzieller Sicherheit und der Möglichkeit, selbstbewusst an dieser Gesellschaft teilzuhaben.“ Back Bone sei dafür der Ankerpunkt: „Hier können die Jugendlichen ankommen, ausprobieren, sich entfalten. Von dort aus bauen wir die Brücke nach draußen”, erklärt der Sozialarbeiter. Fast jeden Tag gibt es Programm, und gezielte Angebote wie Burschen- oder Mädchenabende.
„Schüler:innen, die auf sich allein gestellt sind, tun sich signifikant schwerer, die Schule zu schaffen, als jene, deren Eltern Nachhilfe finanzieren können“, erklärt Faul. Gerade in der Brigittenau betreffe das viele. Der 20. ist nach dem 15. jener Bezirk mit dem geringsten Einkommensdurchschnitt in Wien. „Viele der Jugendlichen, mit denen wir in Kontakt sind, kommen nicht aus finanziell gut ausgestatteten Haushalten, oft mit Flucht- oder Migrationsgeschichte”, sagt Faul: „Die Eltern wissen nicht immer, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt. Da springen wir ein.“ Ein Beispiel ist die „Lern-AG“: Jugendliche, die schon länger dabei sind, helfen anderen beim Lernen. So entsteht ein Netz gegenseitiger Unterstützung sowie Vorbilder, die zeigen: Es ist möglich, eine Lehrstelle oder ein Studium zu schaffen.
Cliquen zusammenbringen
Bei Back Bone gehe es auch darum, verschiedene „Cliquen“ zusammenzubringen, erklärt Faul. Jugendliche, die sonst wenig Berührungspunkte hätten, treffen hier aufeinander: Alteingesessene und Neuzugezogene, Jüngere und Ältere, Gruppen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Konflikte seien dabei unvermeidlich. „Der klassische Generationenkonflikt existiert seit Sokrates – und den gibt es auch heute noch im Park“, sagt Faul. „Unsere Aufgabe ist es, zu vermitteln, Perspektivenwechsel zu fördern und Brücken zu bauen.“

Auch globale Themen fließen in die Gespräche ein: der Krieg in der Ukraine, die Lage in Syrien oder die Schönheitsideale, die in den sozialen Medien permanent präsent sind. „Das schafft eine Diskrepanz zwischen der eigenen Situation und den Bildern, die online ständig aufscheinen“, sagt Faul. Back Bone versucht gegenzuhalten – mit Gemeinschaft, Selbstbewusstsein und Netzwerken, die jungen Menschen Rückhalt geben sollen.
Das führt die Teams der Jugendarbeit vor allem in Parks, Einkaufszentren und auf Plätze im Bezirk. Die mobile Jugendarbeit ist einer der Grundpfeiler von Back Bone. Streetworker:innen sind im ganzen Bezirk unterwegs, um Jugendliche dort zu treffen, wo sie ihre Freizeit verbringen. Zielgruppe: Menschen von zwölf bis 25 Jahren.
„Ich bin dort aufgewachsen“
„Ich stelle mir immer vor, dass wir neben den Jugendlichen gehen. Und unsere Hand ist dabei immer ausgestreckt. Wenn sie sie brauchen, können sie sie nehmen“, beschreibt Birgit Sekanina ihre Herangehensweise. Sie arbeitet seit 15 Jahren bei Back Bone. Vertrauen entstehe durch viele kleine Impulse: eine kurze Vorstellung, wiederholte Gespräche, ein Besuch im Haus – bis sich daraus langsam eine Beziehung entwickelt.
Am Leipziger Platz wird sichtbar, wie das aussieht. Eine Gruppe Burschen begrüßt die Streetworker:innen mit Faustgrüßen. Manche von ihnen, erzählt Darsan, die seit einem halben Jahr im Team ist, waren sogar beim Sommercamp von Back Bone dabei. Als sie hören, dass eine Journalistin und ein Fotograf anwesend sind, verschwinden allerdings viele. Nur der fünfzehnjährige Lukas bleibt. Er wohnt in der Nachbarschaft und besucht Back Bone regelmäßig. „Ich bin dort aufgewachsen“, sagt er.
Camping „irgendwo an der Donau“
Lukas ist einer von 14 Jugendlichen, die beim dreitägigen Campingtrip von Back Bone dabei waren. „Es war irgendwo an der Donau“, antwortet er auf die Frage, wo dieses denn stattfand. „Tulln an der Donau“, ergänzt Darsan lächelnd. Ob er nächstes Jahr wieder mitfahren würde? „Nein, ich glaube nicht. Ich habe heute noch Rückenschmerzen vom Schlafen im Zelt“, meint er und läuft zurück zu seinen Freunden.
Dass das gemeinsame Camping-Erlebnis dennoch wichtig für die Beziehung zwischen Lukas und Back Bone war, daran hat Faul keinen Zweifel. „Ich glaube, eigentlich hatte er nicht wirklich Lust zu sprechen, aber hat es uns zuliebe gemacht.“ Solche Momente seien entscheidend, auch wenn sie von außen unscheinbar wirken. Manchmal sehe es aus, „als würden wir fürs Spazierengehen bezahlt“, sagt Faul mit einem Lächeln. „Aber dahinter steckt Beziehung, Begleitung, Unterstützung – und manchmal genau der Schritt, der jungen Menschen den Weg in ein selbstständiges Leben eröffnet.“
Naz Küçüktekin hat journalistische Erfahrungen unter anderem bei Kurier, Profil und Biber gesammelt. Sie lebt in der Brigittenau hat mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Wiener Journalismus-Gesundheitspreis.
Christopher Mavrič arbeitet als Fotograf für den „Falter“ und viele andere Medien. Sein Fotoband „Zwischen Brücken“ mit Porträts und Ansichten der Brigittenau erschien 2020 in der FOTOHOF-Edition. Er ist Lehrbeauftragter für analoge Fotografie an der Fotoakademie Graz.







