Auftakt der großen Wohnrecherche #Betongold: Im 2. und 20. Bezirk entstehen immer mehr neue Häuser im Luxusbereich. Warum baut die Immobranche an der Mittelschicht vorbei?
Text: Dominik Ritter-Wurnig

Langer Gang, rechts die Wohnküche, hinten ein Schlafzimmer und ein kleines Kinderzimmer. Die Decken sind – typisch Neubau – mit einer Höhe von 250 cm niedrig. Die bodentiefe Fenster bringen viel Licht, aber direkt davor liegt die nächste Wohnung. Leise surrt die Wärmepumpe im Hof.
3 Zimmer für 900.000 Euro
„Goldener Pfau” nennt der Projektentwickler „Steiner Immobilien Gruppe” den Bau in der Großen Pfarrgasse. Das klingt nach viel Luxus. Doch ein Wow-Effekt stellt sich bei der Besichtigung der 84 Quadratmeter großen Wohnung nicht ein. Der Schnitt ist akzeptabel, die Ausstattung über dem Durchschnitt: Parkettboden, Fußbodenheizung, Deckenkühlung, Klimaanlage. Aber warum ist der Anschluss für die Waschmaschine eigentlich im Abstellraum? Und Stauraum wird hier auf jeden Fall knapp.
Luxuriös ist hingegen der Preis: 905.600 Euro soll die 3-Zimmer-Wohnung kosten; das entspricht mehr als 10.700 € pro Quadratmeter. Warum entsteht hier in der Leopoldstadt ein Wohngebäude, das für die meisten Leopoldstädter*innen unleistbar ist?

An dieser Stelle muss ich kurz erklären, wie es zu dieser Recherche kommt. Bis vor drei Jahren habe ich selbst hier im zweiten Bezirk gewohnt und würde das durchaus gerne immer noch. Mit zwei Kindern haben meine Frau und ich damals eine 4-Zimmer-Wohnung gesucht. Miete, Genossenschaft oder Kauf wäre für uns in Frage gekommen, aber wir sind zwischen Donau und Donaukanal nicht fündig geworden.
Aus dem Zweiten in die Donaustadt
Für viel Geld bekommt man hier relativ wenig. Realistisch betrachtet hätten wir uns nur eine unsanierte Altbauwohnung im Hochparterre mit befristetem Mietvertrag leisten können. Nein, danke. Wie die Wien-Statistik zeigt, bin ich einer von vielen Zwischenbrücknern, der einen Bezirk weitergezogen ist, und nun auf der anderen Donauseite lebt.
Was mich seitdem nicht loslässt: Warum wurde das Wohnen in der Leopoldstadt und der Brigittenau so teuer? Was bedeutet es für Menschen mit durchschnittlichem Einkommen, wenn Immobilien zu Betongold werden?
Der Blick hinter die Fassade
Für Zwischenbrücken blicken Leila Renn, Naz Küçüktekin, Veronika Wenninger und ich gemeinsam hinter die Fassaden und machen uns auf die Suche nach Antworten.
Wir produzieren eine Youtube-Doku, berichten in Reels auf Instagram und starten mit diesem Bericht eine Artikelserie auf der Webseite. Denn wir wollen herausfinden, welche Tricks Wohnungs- und Hauseigentümer nutzen, um ihre Renditen in den Himmel zu jagen und Durchschnittsverdiener*innen außen vorzulassen.
Teil eins, also eigentlich Trick Nummer 1, handelt vom „Bauen für Reiche”.

Auf der bekannten Suchplattform „willhaben.at” werden derzeit rund 1.600 Eigentumswohnungen und 250 Mietwohnungen in 1020 und 1200 angeboten. Der Haken ist immer der Preis:
- Brigittenauer Singlewohntraum in U-Bahnnähe um 19 € Miete pro Quadratmeter
- Wohnoase in der Leopoldstadt mit Infinity-Pool-Mitnutzung um 29 € Miete pro Quadratmeter
- Modern Wohnen mit Altbauflair für einen Kaufpreis von 9.216 € pro Quadratmeter zu kaufen
- Familiendomizil im Karmeliterviertel für einen Kaufpreis von 10.717 € pro Quadratmeter
Wir treten als potentielle Käufer*innen auf, um ein ungeschminktes Bild zu bekommen. Zuerst besichtigen wir die als „Familiendomizil” beworbene Wohnung im „Goldenen Pfau” in der Großen Pfarrgasse. Laut Webseite des Immobilienmaklers sind 9 Wohnungen noch zu haben, 13 vor allem kleinere Wohnungen sind bereits verkauft.
Gewerbeflächen für kurzzeitige Vermietung
Im Hof ist noch Baustelle – hier sollen unter anderem Gewerbeflächen entstehen, die zur Kurzzeitvermietung etwa über Airbnb genutzt werden. Durch ein schweres Eisengittertor sollen die Tourist*innen vom „exklusiven Wohnen” ferngehalten werden.
Dicht. Wenn man den Neubau in der Großen Pfarrgasse 14 mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es verdichtet. Straßenseitig kann man von jedem Balkon in die Nachbarwohnung schauen; hofseitig kann man locker Papierflieger von Terrasse zu Terrasse schießen. Seine Nachbar*innen sieht, hört, riecht man hier unweigerlich.

Um herauszufinden, warum diese Wohnung so teuer ist, fragen wir nach: Die Steiner Immobilien Gruppe antwortet jedoch nicht auf unsere Presseanfrage.
Andreas Köttl, Präsident der Vereinigung der Österreichischen Projektentwickler, erklärt, dass grob kalkuliert die Grundstückskosten rund 30-40 Prozent und die Baukosten rund 20-30 Prozent des Angebotspreises ausmachen. Der nächste größere Block seien Finanzierungskosten, Entwicklungskosten und Marketing. Das, was unterm Strich übrig bleibt, macht den Gewinn des Projektentwicklers aus.
„Die Wohnungen, die noch einen Käufer suchen, sind ja meistens die letzten, nicht die besten Wohnungen”, sagt Köttl. „Genau darin steckt aber auch der Entwicklungsgewinn für den Entwickler. Dort sehen wir, da stockt’s.” Wohnungen wie etwa im Marina Tower nahe der Südosttangente sind etwa drei Jahre nach Fertigstellung immer noch zu haben.

„Diese Wohnungen in dem sozusagen Pricing von vor der Krise, die tun sich echt schwer. In Wirklichkeit rettet einen da immer wieder die Lage”, sagt Köttl. „Wenn die Lage sehr gut ist, dann kann man mit diesen etwas überkommenen Preisvorstellungen noch einen Abverkauf machen.”
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der abrupten Zinswende steckt die gesamte Immobilienbranche in der Krise. Reihenweise haben Unternehmen die Segel streichen müssen. Prominentester und mit Abstand größter Fall ist die Signa-Pleite. Wohnungen, die heute auf den Markt kommen, wurden in der Regel vor rund fünf Jahren angestoßen. Die Kalkulation stammt noch aus einer anderen Zeit, die Grundstückskosten waren damals horrend.
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Wie soll man sich mit einem durchschnittlichen Verdienst eine Wohnung um 10.000 Euro pro Quadratmeter leisten können? Laut Kreditrechner müsste man für ein 800.000 Euro-Darlehen (für den Kauf sollte man mindestens 20 Prozent an eigenen Mitteln haben) über 35 Jahre lang monatlich rund 3.000 Euro zurückzahlen. Das Vollzeit-Nettoeinkommen beträgt im Mittel in Österreich laut Statistik Austria aber nur 2.857 Euro.
„Es ist schwer bis gar nicht leistbar und daher geht auch der Markt so schleppend, weil einfach das Geld nicht mehr da ist,” sagt Köttl unumwunden. Für Immobilienentwickler sei es laut Köttl jedenfalls ein gefährliches Spiel, auf Reiche und Wohlhabende zu setzen, weil der Markt klein sei und die Wünsche präzise erfüllt sein müssten. „Wenn ein Projekt nicht einzigartig ist, dann wird es sich schwer tun, hohe Preise zu erzielen”, sagt Köttl.
Lage, Lage, Lage
„Exklusiv Wohnen im Trendviertel” – so bewirbt die Firma Steiner Immobilien ihre Wohnhausanlage auf der Webseite. Hier bewahrheitet sich die gängige Immobilienweisheit: Lage. Lage. Lage. Die Große Pfarrgasse ist eine extrem begehrte Gegend: Nahe an Karmelitermarkt, Augarten und U2. Auch die Innenstadt und die U1-Station sind in Gehweite.
Um die Preisvorstellung in dieser Lage nachvollziehen zu können, muss man aber auch das österreichische Mietrecht verstehen. In Neubauwohnungen darf man als Vermieter*in die Miete frei bestimmen. In Häusern, die vor 1945 errichtet wurden, wird die Miethöhe durch den Richtwert und ein kompliziertes System von Zu- und Abschlägen festgelegt. Ausnahmen gibt es nur für Wohnungen über 130 Quadratmeter und das Dachgeschoss.
Für Projektentwickler*innen bedeutet der Neubau höhere Renditen. Denn die Ware Neubauwohnung lässt sich teurer vermieten und dadurch auch teurer verkaufen. So sind beispielsweise im „Goldenen Pfau” die Wohnungen im Innenhof sanierter Altbau und werden zu niedrigeren Preisen angeboten.
Abriss eines uralten Hauses
Kurz vor der Verschärfung der Wiener Bauordnung, die den Abbruch alter Gebäude bewilligungspflichtig machte, wurde hier im Jahr 2018 eines der ältesten Häuser des Grätzls abgerissen. Laut dem Blog WienSchauen stammten einige Teile des einstöckigen Fuhrwerkerhauses aus dem 17. Jahrhundert, als sich hier im Unteren Werd noch das jüdische Ghetto befand.

Dass die Preise für Immobilien in guten Lagen in den Himmel wachsen, hat auch damit zu tun, dass Zinshausbesitzer*innen durch professionelle Projektentwicklungs-GmbHs ersetzt werden.
Eine solche Firma kaufte laut Grundbuchauszug am 9.Februar 2018 das historische Gebäude in der Großen Pfarrgasse von einer Privatperson um 1,2 Millionen Euro. Nur sieben Monate später wurde die Liegenschaft weiterverkauft an die A.Steiner & Partner Immobilienentwicklungs GmbH. Neuer Kaufpreis laut Grundbuch: 2,2 Millionen Euro. Und dann wurde Beton zu Gold: 13 weitere Wohnungen sind bereits verkauft, die neun noch verfügbaren Wohnungen werden um insgesamt 8,2 Millionen angeboten. Wer ist die Zielgruppe? Wird gezielt um vermögende Kunden aus dem Ausland geworben? Auch auf diese Fragen antwortet die Firma nicht.
Großes Potential im Altbau
Damit die Preise wieder sinken, müssten sich Entwickler laut Andreas Köttl der Umnutzung und Nachverdichtung im Altbau zuwenden. „Wir Projektentwickler müssen eine Liebe zum Bestand entwickeln und ein bisschen wegkommen von der grünen Wiese”, sagt Köttl: „Unser Handwerkszeug als Entwickler ist gefragt.”
In Wien gäbe es ein unendlich großes Potenzial in der Entwicklung des Altbaus. „Da gibt es Flächen oder Gebäude, die nach einer Aufwertung schreien”, sagt Köttl. „Das werden wir in den nächsten ein bis zwei Jahren spüren, diese Projekte werden gerade jetzt konzipiert.”
An den Rand gerutscht
Ob nun Goldener Pfau, Marina Tower, Artmann oder Leopoldquartier – in Zwischenbrücken entstehen unzählige Neubauwohnungen für Menschen mit viel Geld. Auf der Suche nach Betongold baut die Immobilienbranchen an den Bedürfnissen der Bewohnern vorbei. Während Preise und Renditen steigen, rutschen Menschen mit Durchschnittsverdienst weiter an den Rand.
In den nächsten Teilen unserer Recherche schauen wir genau hin, welche Mechanismen dahinter stecken – und wo Lösungen liegen könnten.

Dominik Ritter-Wurnig
Dominik Ritter-Wurnig war als Datenjournalist und Redakteur unter anderem für rbb (ARD), ORF, ZDF und Krautreporter tätig – mit Stationen in Berlin, Wien und New York. Danach gründete und leitete er in Wien das Online-Magazin „tag eins“, ein werbefreies, durch Crowdfunding finanziertes Medienprojekt.







Die Steiner Gruppe ist im Übrigen sehr interessant: in der Lilienbrunngasse stand ein Haus über Jahre leer, ohne Dachdeckung, bis es nicht mehr zu „retten“ war. Resultat war ein Neubau mit Luxuswohnungen, das alles andere als nach Luxus aussieht. Die Gleiche Geschichte im Dritten an der Lände bei der Franzensbrücke…. Solche Investoren sind einfach unerträglich. Die Sprachauswahl auf der Website spricht auch Bände.
Dass in Sanierung investiert werden muss, ist zwar generell richtig und wichtig, aber günstiger werden solche Wohnungen dann auch nicht unbedingt.
Das ist mir dann doch bissl rätselhaft. „Miete, Genossenschaft oder Kauf wäre für uns in Frage gekommen“ und es wird keine einzige geförderte Wohnung als Beispiel genommen von denen es hier in den letzten 10 Jahren aber genug gab. Und es werden auch laufend Wohnungen frei bei Sozialbau, ÖSW, Bauhilfe usw.
Wer am privaten Wohnungsmarkt sucht, wird abgezockt. Keine Frage. Deswegen ist das für Wiener komplett uninteressant. Zu 4t liegt die Einkommensgrenze bei 124000 Euro netto Jahreseinkommen. Woran lags dann?