30 Jahre Integration in der Leopoldstadt
Im Juni 1995 zogen die ersten Flüchtlinge in das Integrationshaus in der Engerthstraße. Trotz heftigem Widerstand von Boulevardzeitungen und FPÖ wurde das Haus zum Erfolgsprojekt
Text und Fotos: Bernhard Odehnal

Die Geschichte des Integrationshauses in der Engerthstraße 163 beginnt mit einem ziemlichen Knall. Wütende Bürgerinnen und Bürger, aufgehetzt von Boulevardzeitungen und der FPÖ, bedrängen Mitglieder der Wiener Stadtregierung. Sie protestieren gegen angeblich gewalttätige Ausländer, welche die Umgebung zur „no-go-area“ machen würden. Sie haben Zeitungsartikel ausgeschnitten und halten sie den Politikern ins Gesicht: „200 Ausländer mehr im Bezirk“. Sie traue sich „aus Angst vor den Tschuschen“ gar nicht mehr in ihren Beserlpark, sagt eine Frau.
Das war im Juni 1994. Das Lichtermeer am Heldenplatz gegen Jörg Haiders Anti-Ausländer-Volksbegehren war damals gerade erst eineinhalb Jahre her. Einer der Organisatoren wollte mehr: Nicht nur auf der Straße protestieren, sondern aktiv Schutz für Flüchtlinge anbieten, das war das Ziel von Willi Resetarits alias Ostbahn-Kurti. Also scharte Resetarits eine Gruppe Gleichgesinnter um sich, um ein „Integrationshaus“ zu gründen.
Künstlich erzeugter Bürgerzorn
Die Suche nach einem geeigneten Ort gestaltete sich schwierig. Schließlich stellte die Gemeinde Wien ein Bürohaus in der Engerthstraße zur Verfügung. Was die Initiatoren jedoch nicht erwartet hatten, war die Hetzkampagne von Kronen Zeitung, Bezirkszeitung und FPÖ gegen das Projekt. Sie gipfelte in einer Bürgerversammlung im Haus, bei der sich Resetarits gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister Helmut Zilk, Stadtrat Rudolf Edlinger und Staatssekretärin Brigitte Ederer den aufgestachelten Wutbürgern stellte. Im chinesischen Lokal nebenan, so erinnert sich ein damals Beteiligter, habe die FPÖ nachher Geld an die Teilnehmer verteilt – als Belohnung fürs Kommen.
Dass der Zorn eher künstlich erzeugt war, zeigte sich daran, wie schnell er verfolg. Ein Jahr nach der Versammlung, im Juni 1995, wurde das Integrationshaus offiziell eröffnet. Und seither habe es in der Nachbarschaft nie Protest oder Unmut gegeben, sagt Niki Heinelt, der seit 1996 dabei ist und für das Integrationshauses die Öffentlichkeitsarbeit macht. „Nachbarn kommen oft vorbei“, schildert Heinelt, „manche bringen sogar Spenden“.
Viele traumatisierte Familien
Das Integrationshaus ist ein Erfolgsprojekt. Vor 30 Jahren begann man mit 12 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Heute sind 160 Menschen voll oder teilzeitlich angestellt. Sie betreuen, beraten und bilden derzeit pro Jahr mehr als 5.000 Menschen aus. Im Haus in der Engerthstraße wohnen 110 Geflüchtete – hauptsächlich Familien – und zusätzlich 28 Kinder und Jugendliche in zwei Wohngemeinschaften, vor allem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Weitere 80 Personen werden in externen Wohnungen betreut. Im Haus in der Engerthstraße gibt es auch zahlreiche Bildungsmaßnahmen, dazu eine Beratungsstelle in der Schweidlgasse und die Ausbildungsberatung in der Wehlistraße.

Zu Beginn waren es überwiegend Menschen aus den Kriegsgebieten in Bosnien und im Irak, die im Integrationshaus unterkamen. Heute leben hier vor allem Ukrainerinnen, Somalier, syrische Familien, Tschetschenen. Und auf einem eigenen Stockwerk unbegleitete Jugendliche.
Sie alle sind in der Grundversorgung, entweder Asylwerber*innen oder subsidiär Schutzberechtigte. Und sie haben dramatische Geschichten von ihrer Flucht zu erzählen. „Wir haben hier viele Betreuerinnen und Betreuer und Psychologinnen und Psychologen“, sagt Niki Heinelt, „deshalb bekommen wir besonders viele traumatisierte Familien zugewiesen“.
Geräumige Zimmer, versperrbare Türen
Im Integrationshaus finden sie Bedingungen vor, von denen in anderen Flüchtlings-Unterkünften nur geträumt werden kann. Die Zimmer sind geräumig, ordentlich eingerichtet, die Eingangstüren sind versperrbar. Es gibt Kursräume für Deutsch und für Computerlehrgänge.
Herz des Hauses und Geschäftsführerin war viele Jahre lang Andrea Eraslan-Weninger. Sie ist mittlerweile in Pension, hilft aber immer noch mit und ist jetzt im Vorstand.

Finanziert wird das Haus Großteils vom Fonds Soziales Wien (FSW). Rund 15 Prozent des Budgets kommen über Spenden herein – das sind rund zwei Millionen Euro. Besonders wichtig für die Spendenmotivation ist die „Gute Zeitung“, die es fast ebenso lang wie das Integrationshaus gibt, und die Geschichten aus dem Haus erzählt. Sie wird ehrenamtlich von renommierten Journalistinnen und Journalisten geschrieben und an Haushalte in ganz Wien verteilt. Auch im 30. Jahr funktioniere die Zeitung noch bestens, sagt Heinelt, der das publizistische Projekt als Chef vom Dienst leitet.
„Willi kann man nicht ersetzen“
Gründer Willi Resetarits starb 2022 bei einem Unfall. Bis zuletzt sei Resetarits die gute Seele des Hauses gewesen, erzählt Heinelt: „Er hat sich nicht um den täglichen Betrieb gekümmert, aber er war unser Botschafter nach außen.“ Dann seufzt Heinelt: „Den Willi kann man nicht ersetzen“.
Damit Resetarits im Haus nicht in Vergessenheit gerät, wird nun die Garage zu einem Gemeinschaftsraum umgebaut. Ob der Umbau diesen Sommer beginnen kann, ist noch nicht sicher. Fix ist nur, dass der Raum den Namen „Willi“ bekommt.
Am 25. Juni feiert das Integrationshaus in der Wiener Arena seinen 30. Geburtstag: „Be a Mensch“. Auftreten werden unter anderem Birgit Denk, Ernst Molden, der Nino aus Wien oder Christopher Seiler. Alle Informationen und Kartenverkauf gibt es hier oder hier: https://www.beamensch.at/de/events/be-a-mensch-das-jubilaeums-open-air
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.