Anrainerinnen und Anrainer klagen über die laute S-Bahn, doch die ÖBB machen wenig Hoffnung auf Verbesserung.
Text und Fotos: Bernhard Odehnal

„Die Menschen werden wegziehen. Die Immobilienpreise werden verfallen!“ Mit so drastischen Worten malt der Besucher einer Informationsveranstaltung die Zukunft des Nordbahnviertels an die Wand. Grund für dieses Schreckensszenario: Der Lärm der S-Bahn.
Nach Umbau noch lauter?
An einem Donnerstag im September hat das Quartiersmanagement des Nordbahnviertels wieder einmal zu einem „Stammtisch“ in die Hauswirtschaft geladen. Der Titel lautet ganz generell „Mobilität“. Tatsächlich geht es den rund 30 Besucherinnen und Besuchern aber nur um die Bahn, die – wie sie sagen – nach dem Umbau im Sommer noch lauter unter ihren Fenstern vorbeifährt.
Zur Diskussion unter der Leitung von Quartiersmanagement-Chefin Andrea Mann sind auch Bezirksvorsteher Alexander Nikolai und sein Stellvertreter Christoph Zich (beide SPÖ) sowie zwei Vertreter der ÖBB-Infrastruktur gekommen.
Bahn war zuerst da
Die ÖBBler machen den Anrainerinnen und Anrainern freilich keine Hoffnungen: Die S-Bahn-Strecke gebe es schon viel länger als die Wohnungen neben den Gleisen. Der gesetzlich vorgeschriebene Lärmschutz sei gemacht worden, weitere Maßnahmen seien nicht geplant.
Während der Streckensperre im Sommer 2025 wurden zwischen Praterstern und Traisengasse die Schienen neu verlegt und zwei Abstellgleise mit mehreren Weichen neu errichtet. Dort sollen Züge in Zukunft bei Störungen abgestellt und schneller gewendet werden können. Das, so die ÖBB, solle den Betrieb auf der S-Bahn zuverlässiger machen.

Anrainerinnen und Anrainer in den neu gebauten Hochhäusern wie etwa dem „Happy“, dem „Schneewittchen“ oder dem „Leywand“ im Nordbahnviertel beschweren sich hingegen, dass die Züge nun viel lauter über die Weichen rattern und Schlafen unmöglich sei, selbst bei geschlossenen Fenstern. Vor allem in den höher gelegenen Wohnungen sei die Lärmbelastung unerträglich. Sie habe für ihre Eigentumswohnung einen hohen Kredit aufgenommen und ihr sei vom Bauträger vertraglich versichert worden, dass der Bahnlärm nie 50 Dezibel überschreiten würde, klagt eine Frau: „Aber unsere Messungen haben Spitzen bis 70 Dezibel ergeben.“
Vorschlag: Langsamere Züge
Viele Ideen und Vorschläge kommen an diesem Abend aus dem Publikum: Könne man die S-Bahn-Strecke nicht umfassend einhausen? Oder zumindest die Lärmschutzwände auf sechs Meter erhöhen? Könnten die Züge nicht langsamer fahren? Die Antworten der ÖBB-Vertreter sind eindeutig: Weitere Lärmschutzmaßnahmen würden wenig bringen, wären aber sehr teuer: „Wir arbeiten mit Steuergeld und könnten das nicht verantworten“.
Auch die Stadt Wien wird vom Publikum in die Verantwortung genommen: Sie sei schließlich für die Bebauung des Nordbahnviertels verantwortlich. Müsse sie nun nicht auch für den Lärmschutz sorgen? Bezirksvorsteher Nikolai verspricht, die Klagen und die Vorschläge zur Verbesserung an die Stadtverwaltung weiterzuleiten. Vielleicht gebe es noch Möglichkeiten, den Lärm zu mindern: Zum Beispiel, wenn die Züge langsamer am Nordbahnviertel vorbeifahren.
Bald im 2-Minuten-Takt
Tatsächlich dürfte der Bahnlärm aber in den nächsten Jahren eher noch zunehmen. Die ÖBB modernisieren die S-Bahn-Stammstrecke zwischen Meidling und Floridsdorf, um noch mehr Züge führen zu können. Denn der Bedarf ist da: Die S-Bahn wird von immer mehr Pendlerinnen und Pendlern benützt, die wollen so rasch wie möglich ans Ziel kommen wollen. Die Strecke wird in den nächsten Jahren auf eine elektronische Zugsicherung umgestellt, damit im 2-Minuten-Takt gefahren werden kann. Außerdem werden die Bahnsteige verlängert, damit auch 220 Meter lange Züge halten können. Dafür wird im Sommer 2026 die Strecke zwischen Praterstern und Floridsdorf abermals gesperrt.
Die größte Herausforderung für den 2. Bezirk kommt jedoch erst ab September 2026 auf den 2. Bezirk zu, und sie hat nichts mit Lärm zu tun: Dann wird nämlich die S-Bahn zwischen Praterstern und Hauptbahnhof für ein ganzes Jahr gesperrt. In der Leopoldstadt wird dann das Bahnviadukt zwischen Praterstern und Donaukanal komplett abgetragen und neu gebaut. Die steinernen Bögen stammen zum Teil noch aus der Anfangszeit der Bahn und stehen auf Holzpfählen im schlammigen Untergrund. Weil in den vergangenen Jahren das Grundwasser sank, begannen diese Pfähle zu morschen. Sie müssen nun durch ein Betonfundament ersetzt werden.
Hinweis: Über das Lärmproblem im Nordbahnviertel sprechen Sonja Harter und Bernhard Odehnal auch in der neuen Podcast-Folge des Nord.Talk. Zu hören gibt es ihn hier.
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.