Der gute Cop in der Brigittenau
Mit seinen Auftritten auf TikTok wurde Grätzelpolizist Uwe Schaffer unter Jugendlichen berühmt. Jetzt geht er in Pension und zieht Bilanz.
Text: Bernhard Odehnal

„Du bist doch der Cop!“ Die drei Jungs, die lässig die Jägerstraße entlang schlendern, bleiben stehen, schauen, holen ihre Handys hervor.
Nun wäre es normalerweise eher keine gute Idee, einen Wiener Polizisten in Uniform zu duzen und mit „Cop“ anzusprechen. Doch in diesem Fall reagiert der Angesprochene, der gerade vor dem Café Monika steht, weder aggressiv noch verärgert. Ganz im Gegenteil: Er lächelt und nickt: „Genau, der bin ich“. Die drei Jugendlichen sind begeistert. Am Vortag haben sie ihn auf TikTok gesehen. Jetzt steht er vor ihnen, in voller Größe und Uniform. Sofort bitten sie ihn um Selfies.
Partner aus Tschetschenien
„So geht es mir im Bezirk sehr oft“, sagt der Cop, der in Wirklichkeit Uwe Schaffer heißt. Denn auf TikTok ist er gemeinsam mit seinem tschetschenischen Partner Ahmad Mitaev ein Star. Als „Cop und Che“ erklären die beiden, was Jugendliche dürfen und was nicht. Wie sie sich gegenüber der Polizei verhalten sollen und wie sich die Polizei ihnen gegenüber verhalten sollte. Über 30 Millionen Mal wurden ihre Videos bisher angeklickt.
Wenn Schaffer keine Videos für die sozialen Medien geht, geht er als Grätzelpolizist zu Fuß durch die Brigittenau. Rund um die Polizeiinspektion in der Pappenheimgasse kennen ihn nicht nur die Jugendlichen, hier grüßen ihn die Trafikantinnen in der Klosterneuburger Straße und die Marktstandler auf dem Hannovermarkt. Und die Kellnerinnen im Café Monika sowieso.
Grätzelpolizist auf letzter Streife
Doch mit diesen Rundgängen ist jetzt Schluss. Ende Mai geht Grätzelpolizist Uwe Schaffer in Pension. Mit uns macht er einmal noch einen kleinen Rundgang und lässt sein Berufsleben Revue passieren. Wir – das sind die Journalistin Edith Meinhart, die aus dem Treffen einen Podcast für „Die Dunkelkammer“ macht (der Link ist hier), der Fotograf Christopher Glanzl, der Aufnahmen für „Cop & Che“ macht und ich für „Zwischenbrücken“.

An jenem Tag, als wir Uwe Schaffer treffen, hat er um 9 Uhr seine Papiere für die Pensionierung eingereicht. Ihm bleiben noch zwei Dienst-Tage, bis er in den Ruhestand tritt. Sieht er dem letzten Tag mit Freude oder Wehmut entgegen? Sowohl als auch, antwortet Schaffer, „weil es mir irrsinnig viel Spaß gemacht hat.“
Seit sieben Jahren ist Schaffer Grätzelpolizist in der Brigittenau. Er fährt nicht wie andere Polizisten im Streifenwagen zu Einsätzen. Er spaziert durch das Grätzel, redet mit Menschen, hört sich ihre Probleme an, versucht kleine Konflikte sofort zu lösen.
Ungewohnter Dienst zu Fuß
Mit dem 2017 präsentierten Programm „Gemeinsam sicher“ wollte das Innenministerium die Kommunikation zwischen Bevölkerung und Polizei verbessern. Schaffer war einer der ersten, der daran teilnahm. Zu Beginn sei es noch ungewohnt gewesen, erinnert er sich. Sowohl für die Bevölkerung als auch die Kollegen. Ein Polizist zu Fuß, der nicht erst dann kommt, wenn schon was passiert ist. Sondern der versucht, potentielle Konflikte durch Gespräche frühzeitig zu erkennen.
Sehr schnell bemerkte Schaffer jedoch die Qualitäten des neuen Dienstes: „Man lernt Leute kennen, denen man im normalen Streifendienst nie begegnet. Man kommt eigentlich überall hin. Also ich bin mit der Bezirksvorsteherin per Du. Das ist nicht jeder Polizist.“
Täglich Schlägereien auf dem Praterstern
Schaffer kommt aus einem kleinen Ort im steirischen Murtal und wurde in Wien nach der Polizeischule zuerst ins Wachzimmer Praterstern geschickt. Der Platz war damals ein Hotspot des Alkoholismus und der Gewalt. Jeden Abend Auseinandersetzungen, vor dem Bahnhof und im Wurstelprater. Schaffer erinnert sich an das Tanzlokal Oberbayern: „Eine 20 Meter lange Schank mit einer Bierzapfsäule neben der anderen. Jedes Wochenende gab es da eine Massenschlägerei.“
Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs wurde der zweite Bezirk erste Adresse für Menschen, die aus dem Osten kamen und hier zu Geld kommen wollten. Nicht immer legal. Der „Polenmarkt“ sei für die Polizei eine besondere Herausforderung gewesen, erzählt Schaffer: „Viele polnische Staatsbürger haben tagsüber ihre Waren verkauft, und in der Nacht sind sie einbrechen gegangen. Wir haben damals jede Nacht zwei bis drei Einbrecher erwischt.“
Angst schärft die Sinne
30 Jahre machte Schaffer Dienst in verschiedenen Polizeiinspektionen in der Leopoldstadt. Er erzählt gerne über diese Zeit. Nur einmal wird er schweigsam – als ich ihn frage, ob er nicht nur beim Training, sondern auch im Dienst schießen musste? „Ja, einmal“ sagt Schaffer und fügt hinzu, dass er darüber nicht reden wolle: „Jeder glaubt, dass ein Polizist halt die Waffe nimmt und auf einen Bösen schießt. Aber so einfach ist es nicht. Das muss man erst einmal verarbeiten. Das dauert sehr lange. Und trotzdem: Immer wieder kommt das hoch.“
Schwer zu verarbeiten seien auch Einsätze bei schweren Unfällen. Schaffer erinnert sich an ein brennendes Auto, aus dem er den schreienden Fahrer nicht mehr befreien konnte. Psychologische Betreuung habe er aber nie in Anspruch genommen. „Ich vertraue mich nicht irgendeinem Fremden an. Nein, wir haben das früher immer so gehandhabt: Wir sind nach dem Dienst auf ein Bier gegangen. Da ist alles besprochen worden. Was hätte man anders machen können, was wäre vielleicht besser gewesen? Dann geht man mehr oder weniger befreit nach Hause.“ Bei solchen Kollegengesprächen sei auch das Thema Angst kein Tabu gewesen: „Weil Angst zu haben hat einen Vorteil. Es schärft die Sinne. Du wirst extrem vorsichtig, und das bringt viel.“

2014 wechselte Uwe Schaffer in die Brigittenau. Auch kein einfaches Pflaster. Viel wird hier über Ausländer- und Jugendkriminalität geklagt. Vor allem seit der berüchtigten Auseinandersetzung zwischen Syrern, Afghanen und Tschetschenen 2024 im Anton-Kummerer-Park. Durch seine Partnerschaft mit dem jungen Tschetschenen Ahmed bei „Cop und Che“ hat Schaffer guten Kontakt zur tschetschenischen Community und „absolute Top Leute kennengelernt“. Die seien hoch gebildet, „sogar höher gebildet wie wir“. Da habe er von seinem TikTok-Partner Ahmad „irrsinnig viel gelernt“.
Ernste Gespräche mit Schülern
Es seien nur wenige Jugendliche, „die Blödsinn im Kopf haben, Raubüberfälle machen, sogar mit Waffen“, sagt Schaffer. Wie streng Gewalttaten bestraft werden, wüssten die Täter oft gar nicht. Deshalb versucht Schaffer den Jugendlichen immer wieder zu erklären, was das für ihr weiteres Leben bedeuten könne. Einerseits mit den TikTok-Videos von „Cop und Che“, andererseits bei Besuchen in Schulen.
So habe ihn der Direktor der Mittelschule Leipziger Platz bei Problemen mit einem Schüler immer wieder angerufen: „Ich komme hin und wir holen den Jugendlichen aus der Klasse. Da bekommen die anderen schon mal große Augen. Und dann setze ich mich mit dem Schüler hin und erkläre, dass das so nicht funktionieren wird. Dass die Art, wie er sich verhält, im weiteren Leben zu genau nichts führen wird.“
Mehr Waffen im Spiel
Problematisch sei, dass heute viel mehr Waffen im Spiel seien als früher. Das wiederum führe dazu, dass bei der Polizei der Selbstschutz immer wichtiger werde. „Das bringt mir nichts, wenn ich einen Ausweis verlange und der greift in den Hosensack, nimmt ein Messer und sticht mich ab“, sagt Schaffer lapidar: „Deshalb werden aus Eigensicherungsgründen die Jugendlichen erst mal durchsucht“ – was diese wiederum als Polizeigewalt empfinden würden. „Verstehe ich auch“, sagt Schaffer: „Für die ist das natürlich eine Katastrophe: Bevor einer irgendwas sagt, werden sie an die Wand geklatscht und durchsucht.“ Der Grätzelpolizist meint aber, dass sich das Verhältnis in letzter Zeit etwas entspannt habe, sowohl von Seite der Jugendlichen als auch der Polizei.

An seinem letzten Tag im Dienst wird Uwe Schaffer noch einmal den Hannovermarkt besuchen – seinen liebsten Platz im Bezirk. Er wird sich von den Marktstandlern verabschieden, vielleicht noch einen türkischen Kaffee trinken oder Falafel essen. Dann wird er in der Polizeiinspektion Pappenheim seine „Susi“ abgeben, wie er seine Pistole seit seinem ersten Dienst bei der Polizei nennt. Die Uniform darf er behalten, aber natürlich nicht mehr tragen: „Die muss ich selbst entsorgen“.
Nachfolger:in gesucht
Nachfolger oder Nachfolgerin für den Job als Grätzelpolizei gibt es noch nicht. Weil die Polizei sparen muss? Nein, antwortet Schaffer: „Die Jungen interessieren sich nicht für den Dienst zu Fuß, die wollen im Streifenwagen fahren und Action haben“. Er sagt das nicht abwertend, er versteht das. Als junger Polizist hatte er auch was erleben wollen.
Jetzt sehnt er sich nach der Ruhe und dem Grün rund um sein Haus in Niederösterreich. Die Brigittenau wird er besuchen, höchstens ein- oder zweimal im Monat. Auch will er weiterhin die Jugendlichen auf TikTok über die Polizeiarbeit aufklären. Gemeinsam mit seinem tschetschenischen Partner „Che“. Aber nicht mehr als „Cop“ in Uniform.
Zum Podcast von Edith Meinhart in der “Dunkelkammer” geht es hier.
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.