“Ein Platz für Menschen mit Ideen, aber wenigen Ressourcen”
Wo früher Kinder spielten, wachsen nun Tomaten – und Ideen. In einem Wiener Gemeindebau will Community Work der Volkshilfe Wien leerstehenden Raum in ein Zentrum für Gemeinschaftsprojekte verwandeln.
Text: Nac Küçüktekin

„Noch ist alles ein bisschen chaotisch“, sagt Ivana Cucujkić-Panić. Doch schon bald soll aus dem verwilderten Garten hinter ihr ein lebendiger Ort werden – bepflanzt und sinnvoll genutzt. Erst vor ein paar Tagen fand ein kleines Treffen statt, das Menschen auf die Möglichkeit aufmerksam machen sollte. „Und tatsächlich sind einige gekommen“, sagt die gebürtige Serbin stolz. Cucujkić-Panić ist für die Volkshilfe Wien tätig und arbeitet in einem kleinen Team, das Projekte der Gemeinschaftsarbeit entwickelt und betreut.
Als wäre es ihr Stichwort gewesen, tritt Mica in diesem Moment in den Garten. Seit Jahrzehnten lebt die aus Bosnien stammende Pensionistin im Johann-Kaps-Hof. Heute will sie nach ihren Setzlingen schauen. Was soll eigentlich wachsen? „Tomaten, Paprika, Kräuter – alles“, antwortet die Hobbygärtnerin.
Probleme mit den Nachbarn
Mica ist redselig – und so erfährt man innerhalb weniger Minuten viel über sie: dass sie verheiratet ist, dass ihr Mann an einer Sauerstoffflasche hängt, dass sie Probleme mit den Nachbarn hat, die immer ihren Müll vom Balkon werfen. Und das Geheimnis ihrer langjährigen Ehe? „Keine Eifersucht“, meint Mica.
„Solche Gespräche, in denen ich etwas über die Menschen erfahre, sind mir sehr wichtig“, betont Cucujkić-Panić. Das ist der Kern ihrer Arbeit. Man nennt das Community Work. Hinter dem sperrigen Begriff steckt ein Konzept, das Gemeinwesenarbeit neu denkt – indem Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, bei der Umsetzung ihrer Projektideen begleitet und unterstützt werden.
Gemeinwesen neu gedacht
Ivana Cucujkić-Panić, selbst Brigittenauerin, koordiniert die Aktivitäten im 20. Bezirk. Mit dem Standort im Johann-Kaps-Hof, einem Gemeindebau nahe der Jägerstraße, soll in der Brigittenau ein neuer Standort entwickelt und erprobt werden. „Der Raum hier stand schon länger leer, davor war ein Kindergarten untergebracht“, sagt Cucujkić-Panić: „Jetzt bekommen wir ihn vorerst zur Zwischennutzung.“

Die Zentrale der Volkshilfe Community Work befindet sich im Sonnwendviertel in Favoriten. Ein vierköpfiges Team setzt diesen Ansatz hier seit rund drei Jahren um. Dabei sind bereits mehrere Vorzeigeprojekte entstanden – etwa der „Salon Sozial“.
Gülten Karagöz, die einen Friseursalon am Wiedner Gürtel führt, bietet Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien kostenlose und professionelle Haarschnitte an. Oder: der Favoritner Frauenchor. Rolanda Limani hat diesen gegründet. Hier singen Frauen unterschiedlichster Herkunft gemeinsam, vernetzen sich und tauschen sich untereinander aus. „Sie hatten mittlerweile schon einige Auftritte“, erzählt Cucujkić-Panić, „und werden sogar für Events angefragt”.
Raum steht für Ideen offen
Am Standort im Johnan-Kaps-Hof sollen in den nächsten Monaten Projekte mit Brigittenauer Prägung entstehen. So ist ein „Community Leader“ – so werden hier die Personen genannt, die Ideen ehrenamtlich umsetzen – dabei, Schachturniere im Bezirk zu organisieren. Eine Gruppe nutzt die Räumlichkeiten aktuell für ihre Tanztreffen. „Sie machen albanische Volkstänze“, präzisiert Cucujkić-Panić.
Weitere Projekte seien jederzeit willkommen: „Unser Raum steht allen offen, die ihn im Sinne des Gemeinwohls nutzen wollen.“ Mitbringen muss man lediglich eine Idee. Das Team der Community Work Volkshilfe Wien unterstützt beim Rest. Indem es etwa Räume zur Verfügung stellt, bei der Aufstellung von Förderungen hilft oder bei Genehmigungen unterstützt. „Wir wollen vor allem auch Menschen erreichen, die Ideen, aber wenig Ressourcen haben – Migrantinnen, Alleinerziehende oder Pensionistinnen“, so Cucujkić-Panić.
Bei Mica scheint die Idee jedenfalls bereits angekommen zu sein. In den Gemeinschaftsgarten wird sie noch öfter kommen.
Naz Küçüktekin hat journalistische Erfahrungen unter anderem bei Kurier, Profil und Biber gesammelt. Sie lebt in der Brigittenau hat mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Wiener Journalismus-Gesundheitspreis.