Letzte Blicke auf den Nordwestbahnhof

Unser Fotograf darf exklusiv den Abbruch des riesigen Bahnareals aus nächster Nähe beobachten. Seine Bilder dokumentieren das Ende einer Epoche – und den Beginn eines neuen Stadtteils.

Fotos: Christopher Mavrič, Text: Bernhard Odehnal

Oktober 2025: Die Bagger wühlen sich durch die Fundamente der ehemaligen Stückguthalle. Hier soll die „grüne Mitte“ des neuen Wohnviertels entstehen.

Vor etwas mehr als einem Jahr begannen die Abbrucharbeiten der Güterhallen auf dem Areal des Nordwestbahnhofs in der Brigittenau. In den kommenden Jahren wird hier ein neuer Stadtteil mit Wohnungen, Schulen und Arbeitsplätzen für 16.000 Menschen entstehen (wir haben darüber berichtet). Eine neue Kleinstadt in Zwischenbrücken!

Schulcampus und Gemeindebau

Für die Abbrucharbeiten wurde das 44 Hektar große Areal in mehrere Zone geteilt. In der Zone 1 wurden sämtliche Gebäude bereits abgerissen, hier wird kommendes Jahr mit dem Bau eines Schulcampus und eines Gemeindebaus begonnen. Zur selben Zeit werden in Zone 2 die bestehenden Gebäude abgerissen, darunter auch die ehemalige Busgarage mit dem Verwaltungsgebäude, in dem derzeit das private Museum Nordwestbahnhof der Künstlergruppe „Tracing Spaces“ untergebracht ist (zu besichtigen jeden Donnerstag von 15 bis 19 Uhr)

Zwischenbrücken-Fotograf Christopher Mavrič hat von den ÖBB die Erlaubnis erhalten, die Abbrucharbeiten direkt auf der Baustelle zu dokumentieren – und zwar nicht nur vom Boden aus, sondern auch mit einer Drohne. Mit dieser konnte Mavrič das Geschehen nicht nur aus der Vogelperspektive dokumentieren, sondern auch in das Innere der historischen Hallen fliegen, kurz bevor die Bagger sie zu Haufen aus Ziegel, Holz und Metall zerkleinerten.

Eine repräsentative Auswahl der Fotos können wir hier zeigen.

Im Sommer 2023 standen noch alle Hallen. Im Hintergrund sieht man das Dach der Stückguthalle, in der Haushaltswaren oder Computer aus Güterzügen auf LKWs umgeladen und in der Stadt verteilt wurden. Ganz vorne stand die sogenannte „Props-Halle" mit Österreichs größter Sammlung von Filmrequisiten - von alten Wählscheiben-Telefonen bis zu Maggi-Flaschen. Der Verein „props.co" zog nach Aderklaa, die Halle wurde abgerissen.

Die meisten Güterhallen auf dem Areal stammten aus der Gründerzeit in den 1870er Jahren. Viele Jahrzehnte lang wurde hier angeliefert und umgeladen, was früher exotisch und heute selbstverständlich ist. Fische aus der Nordsee, zum Beispiel. Oder auch Bananen. Nur zwei historische Hallen bleiben erhalten. Die zukünftige Nutzung ist aber noch unklar.

Juni 2025: Nun muss die große Stückguthalle daran glauben. Bis weit in die 2000er Jahre hinein wurden hier jeden Abend lange Güterzüge hineingeschoben, woraufhin eine Flotte von Gabelstaplern in einer ausgetüftelten Choreografie die Paletten mit Kisten und Kartons durch die Halle direkt zu den Lastwagen und in die Lager der Speditionen fuhren.

August 2025: Ein letzter Blick aus der Stückguthalle vor dem endgültigen Abriss. Die Halle mit den beeindruckenden Dachbalken aus massivem Holz diente immer wieder auch als Filmkulisse, etwa für eine Szene im „Bockerer“, in der aus der Kriegsgefangenschaft entlassene Wehrmachtssoldaten in Wien ankommen. Zuletzt fand hier 2023 die aufwendig inszenierte Jubiläumsveranstaltung „100 Jahre Österreichische Bundesbahnen“ statt.

Im August 2025 hatten sich die Bagger schon durch den Mittelteil der Stückguthalle gefressen. Sie war erst in den 1960er Jahren durch die Überdachung des Raums zwischen zwei historischen Güterhallen (links und rechts) entstanden und gehörte mit ihren 440 Metern Länge neben den Schlachthofhallen in St. Marx zu den größten Hallen in Wien. Überlegungen, sie zu erhalten und anders zu nutzten, gab es aber nie wirklich.

Das Abbruchmaterial des Nordwestbahnhofs wird noch vor Ort in Holz, Metall oder Betonbruch getrennt. Dafür wurde eine „Behandlungsinsel" eingerichtet, wo der Schutt unter röhrenartigen Überdachungen (im Hintergrund) gelagert wird. Unbrauchbares Material wird anschließend in den orangenen Güterwagen (neben den Röhren zu sehen) auf eine Deponie bei Enns an der Donau gefahren.

September 2025: Die letzten Mauern der ehemaligen Stückguthalle fallen. Die grauen Hallen links im Bild werden ab 2026 abgerissen, die alte Halle mit Giebeldach in der Bildmitte bleibt erhalten. Im Hintergrund der Wienerwald mit Kahlenberg und Leopoldsberg, links der Flakturm im Augarten.

Mitte Oktober 2025: Die meisten historischen Güterhallen aus dem 19. Jahrhundert hatten großräumige Keller. Bei den Abbrucharbeiten wurden für kurze Zeit die alten Ziegelgewölbe sichtbar. Auch sie werden abgetragen und die Hohlräume mit Betonbruch verfüllt.

Ende Oktober 2025: Auf dem planierten Gelände links im Bild standen früher Portalkräne für Container. Sie wurden nach Serbien verkauft. Von der früheren Stückguthalle ist schon nichts mehr zu sehen. Ab kommenden Jahr soll hier ein Schulcampus gebaut werden. Die alte Halle rechts im Bild bleibt erhalten und soll im zukünftigen Wohnviertel an den ehemaligen Bahnhof erinnern. In welcher Form - das ist freilich völlig unklar.

Alle Fotos entstanden mit freundlicher Unterstützung der ÖBB Infrastruktur.

Christopher Mavrič

Christopher Mavrič arbeitet als Fotograf für den „Falter“ und viele andere Medien. Sein Fotoband „Zwischen Brücken“ mit Porträts und Ansichten der Brigittenau erschien 2020 in der FOTOHOF-Edition. Er ist Lehrbeauftragter für analoge Fotografie an der Fotoakademie Graz.

Bernhard Odehnal

Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.