„Saubillig und saugeil“ – so tickt der Hannovermarkt
Sie schwärmen von Shawarma und frischem Gemüse, von Multikulturalität und freien Parkplätzen: Marktstandler und Kundinnen erzählen, was den Markt im Herzen der Brigittenau für sie so einzigartig macht.
Text: Naz Küçüktekin, Fotos: Chris Mavrič

„Aksiyon, aksiyon.“ Die Rufe hallen über den Hannovermarkt. Ein Verkäufer hebt eine Melone in die Luft, ruft laut den Preis aus: „Kilo ein Euro.“ Einige Menschen bleiben stehen, angelockt vom Aktionsangebot. Für andere ist es nur eine Randnotiz im Gewusel.
Ein Mann beugt sich über seinen Stand, stapelt Obstkisten, richtet die Waren mit routinierten Handgriffen. Eine Frau zieht ihren Einkaufswagen hinter sich her, bleibt stehen, um die Preise für Paprika und Tomaten zu vergleichen. Ein paar Meter weiter steigt Dampf auf – der Duft von frisch frittierten Falafeln. Der Markt pulsiert. Wie jeden Samstag.
Birkenstock und Kopftuch
Der Hannovermarkt ist ein Mikrokosmos Wiens – ein Ort, an dem Studierende in Birkenstocks, kopftuchtragende Mütter und ältere Herren aufeinandertreffen.
„Der Hannovermarkt ist sehr berühmt und ich komme seit vielen, vielen Jahren hierher. Das Angebot – Fleisch, Gemüse, die freundliche Bedienung – alles ist in bester Ordnung. Außerdem ist die Verkehrsverbindung sehr günstig“, erzählt ein rüstiger Mann, der gemeinsam mit seiner Frau hier einkauft.
Verkehrsberuhigung sorgt für Unruhe
Der Markt erstreckt sich entlang der Hannovergasse, von der Othmargasse bis zur Gerhardusgasse. Viele Besucher:innen, wie der Mann und seine Frau, kommen mit dem Auto. Direkt vor dem Markt kann man parken. Genau das sorgt jedoch immer wieder für Diskussionen: Die Verkehrsberuhigung des Marktes wird im Bezirk kontrovers diskutiert. Aber das ist wohl Thema für ein anderes Gespräch. Schließlich lockt der Markt mit mehr als nur günstigen Parkmöglichkeiten.

Eine junge Besucherin schätzt vor allem das Gemüse: „Das hier ist halt saubillig und saugeil“, sagt sie. „Es ist nicht dieses industrielle Supermarktgemüse, sondern nice, dass die Bauern hierherkommen und es verkaufen. Es gibt so geiles Essen hier – den besten Shawarma überhaupt, die besten Falafel. Ich wohne jetzt im neunten Bezirk und bin damit öfter hier. Heute treffe ich mich mit ein paar Freunden. Es ist ein richtig nicer Knotenpunkt für alle, um zusammenzukommen“, erzählt sie.
Eine andere Besucherin kommt fast jede Woche wegen des „guten Brots“: „Das ist so lecker.“ Gemeint ist das Lavash-Brot, das bei Bagheri Markt nach afghanischer Tradition in einem Tandoor, einem Lehmofen, zubereitet wird.
“Der Hannovermarkt ist für mich eine Kultstätte”
Lavash-Brot, syrische Spezialitäten, Cevapi, Fisch und Fleisch sowie natürlich Obst und Gemüse – es gibt nichts, das man am Hannovermarkt nicht bekommt. Die Standler:innen und Betreiber:innen sind dabei nicht weniger divers als die Besucher:innen.
Maria kommt aus Laa an der Thaya im Weinviertel. Dort hat sie mit ihrem Mann eine Landwirtschaft. Zwar nicht alles, aber vieles, was sie am Markt verkauft, stamme aus dem Eigenanbau. Seit 32 Jahren verkauft sie jeden Samstag ihre Waren am Hannovermarkt. „Der Hannovermarkt ist für mich eine Kultstätte. Ich möchte auf keinem anderen Markt sein. Das Multikulturelle gefällt mir so, die Kunden sind ausgesprochen nett“, erzählt sie, bevor sie sich selbst unterbricht. „Und jetzt muss ich mich aber um meine zwei lieben Kunden kümmern.“ Und weg ist sie.

Bei Sergej, ursprünglich aus der Ukraine, ist gerade wenig los. Seit vier Jahren verkauft er Käse aus Vorarlberg und Tirol, Speck aus der Steiermark, Brot aus dem Weinviertel und Nüsse aus der Steiermark am Hannovermarkt. „Ich bin sehr zufrieden hier. Die Kunden auch“, betont er.
Für Kerim, 18 Jahre alt und Schüler an der HTL Mödling, ist der Samstag am Markt eine nette Möglichkeit, sich ein bisschen Taschengeld dazuzuverdienen. Spaß mache die Arbeit hier am Gemüsestand auch. Die Betreiber kennt er über seine Familie. „Man lernt neue Leute kennen, der Kreis wird größer“, resümiert er.
Die netten und die geizigen Kunden
Die Menschen und Kunden hier seien meistens auch nett. „Aber es gibt auch geizige – manche Kunden warten auf die zehn Cent Rückgeld“, staunt der Schüler und klagt über etwas, das wohl mindestens so alt ist wie der Markt selbst.
Und da ist da noch der ältere Mann in schwarzem Kaftan und Turban. Jeden Tag sitzt er gegenüber eines Marktstandes auf dem schlicht „Obst und Gemüse“ steht. Den Stand betreibe sein Sohn, sagt der Mann, der sich als „Ali“ vorstellt. Er sei schon viele Jahre hier, erzählt Ali, und er kennt sich nicht nur auf dem Hannovermarkt gut aus, sondern auch in der Steiermark: In Hartberg habe er auf einem Feuerwehrfest gearbeitet und dort Rosen verkauft.
Erster Markt musste Verkehr weichen
Die Geschichte des Hannovermarkts reicht bis in das Jahr 1850 zurück. Damals entstand der Brigittamarkt vor der gleichnamigen Kirche – als lebendiger Umschlagplatz für Gemüse, Fleisch und Fisch. Über fünf Jahrzehnte war er fixer Bestandteil des Grätzels, bis er dem Verkehr weichen musste.
Am 11. September 1905 verkündete der Wiener Magistrat die Verlegung des Marktes in die Kluckygasse, Webergasse und Hannovergasse. Die Händler:innen mussten ihre Waren täglich auf- und abbauen – bis der Markt 1913 ein neues Zuhause auf einem Grundstück des Stifts Klosterneuburg fand.

1930 erhielt der Markt seinen heutigen Namen, benannt nach der königlichen Familie von Hannover. Im Zweiten Weltkrieg wurde er schwer beschädigt, doch schon kurz nach 1945 wieder aufgebaut. In den 1960er Jahren folgte ein kompletter Neubau. Mit über 90 Verkaufsplätzen erreichte der Hannovermarkt damals seine größte Ausdehnung.
2003 wurde der Markt umfassend saniert und verkleinert. Infrastruktur und Hygienestandards wurden modernisiert – eine Frischzellenkur für einen traditionsreichen Ort. Heute beherbergt der Hannovermarkt 55 Stände, Montag bis Freitag haben diese von 6 bis 21 Uhr offen. Am Samstag kommen zusätzliche Stände und ein Bauernmarkt hinzu.
Ein Konzept, das gepaart mit dem stadtweiten Trend von Märkten, aufgeht. Was lange als verstaubt und unmodern galt, ist heute angesagt: frische Lebensmittel, Streetfood, Kaffee, Gespräche zwischen den Ständen.
NICHTS MEHR VERPASSEN

Bruno, Jahrgang 1941, gerade dabei ein Achterl zwischen dem Treiben zu genießen, nicht mehr wie er betont, er sei schließlich Autofahrer, kann mit dem ganzen allerdings nicht allzu viel anfangen. Weil früher doch alles besser war. „Schauen`s, überall Pfusch”, sagt er und zeigt auf kleine Unebenheiten im Boden. „Da rinnt das Wasser nicht gscheit ab”.
Auch die steigenden Preise findet Bruno untragbar: „Wissen sie viel ein Kilo Lammfleisch da mittlerweile kostet. Kann sich ja keiner leisten”, regt er sich auf. Wie oft der dennoch hier ist? „So ein, zweimal die Woche. Ich komme seit 20 Jahren da her”, antwortet er.
Das Comeback der Märkte
Damit ist er einer von hunderttausenden, die Wien Märkte besuchen. Mai 2024 wurden wöchentlich 527.147 Besuche auf Wiens Märkten gezählt – das Plus von 28,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders stark legten der Karmelitermarkt (+70 Prozent), der Viktor-Adler-Markt (+53 Prozent) und der Hannovermarkt zu – mit einem Zuwachs von 52,7 Prozent.
Märkte sind zurück. Nicht als Nostalgieobjekte, sondern als Orte des Austauschs und der Vielfalt. Der Hannovermarkt zeigt, wie ein traditioneller Markt sich behaupten kann – zwischen günstigen Parkplätzen und Diskussionen um Verkehrsberuhigung, zwischen Falafelduft und Lavash-Brot.
Naz Küçüktekin hat journalistische Erfahrungen unter anderem bei Kurier, Profil und Biber gesammelt. Sie lebt in der Brigittenau hat mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Wiener Journalismus-Gesundheitspreis.
Christopher Mavrič arbeitet als Fotograf für den „Falter“ und viele andere Medien. Sein Fotoband „Zwischen Brücken“ mit Porträts und Ansichten der Brigittenau erschien 2020 in der FOTOHOF-Edition. Er ist Lehrbeauftragter für analoge Fotografie an der Fotoakademie Graz.