Ein Verein bringt das Badevergnügen zurück ins Zentrum der Stadt. Wir sind mitgeschwommen – in kaltem Wasser, aber mit warmem Applaus.
Text: Bernhard Odehnal

Wann kommt das Schiff? Alle starren auf das Wasser, nur Anna Zettl auf ihr Handy. Auf dem Display zeigt eine Ship-Tracking-App einen kleinen Punkt, der sich auf dem Donaukanal stromabwärts bewegt. Und tatsächlich rauscht kurz danach das Ausflugsboot „Blue Danube“ unter der Friedensbrücke hindurch und verschwindet hinter der Kanalbiegung.
Zettl ist zufrieden: Der Kanal ist frei, „jetzt kann es losgehen“. Die 29-jährige Ärztin in Ausbildung ist stellvertretende Vorsitzende des „Schwimmverein Donaukanal“. In der warmen Jahreszeit finden Vereinstreffen zweimal pro Woche statt. Wer Lust hat, geht dann noch auf eigene Verantwortung in den Kanal schwimmen. An diesem Donnerstag sind es etwa 25 Personen, die nun vom Gemeinschaftsgarten „Alsergarten“ nahe der Friedensbrücke hinunter zum Ufer marschieren. Auch der Autor und die Social-Media-Redakteurin von „Zwischenbrücken“ sind dabei. Für uns ist es eine Premiere: Zum ersten Mal Schwimmen im Donaukanal!
Mit 5km/h Richtung Stadtmitte
Es ist einer der ersten schönen Tage nach der langen Regenzeit. Der Himmel ist klar, die Luft warm, aber das Wasser immer noch überraschend kalt. So raubt einem der Schritt von den Ufersteinen ins Wasser kurz den Atem. Aber nun gibt es kein Zurück mehr. Schon hat die Strömung den Körper erfasst, und wir treiben mit etwa 5 km/h der Stadtmitte zu.
Vom Schwimmverein haben wir einen wasserdichten Schwimmsack bekommen. Darin können wir nicht nur unsere Sachen mitnehmen, der orangene Sack dient auch als eine Art Erkennungszeichen für Zuschauer. Öfters nämlich sei es schon passiert, dass Passanten am Ufer oder auf einer Brücke die Polizei verständigten, erzählt Anna Zettl: Sie glaubten, jemand sei ins Wasser gefallen und müsse gerettet werden.
Staunen und Lachen am Ufer
An diesem Tag sorgt sich niemand um uns. Unter einem Baum am Ufer sitzt ein älterer Mann mit Gitarre und schaut uns traurig nach. Auf dem Siemens-Nixdorf-Steg stehen zwei Jugendliche, lachen und winken. „Wie ist das Wasser?“, rufen sie. „Saukalt!“ „Macht es wenigstens Spaß?“ „Ja, sehr!“
Gegründet wurde der Schwimmverein vor fünf Jahren, als ein Semesterprojekt von vier Studierenden im Studiengang Social Design der Universität für Angewandte Kunst. Mittlerweile hat er 400 Mitglieder, die sich nicht nur gemeinsam im Kanal treiben lassen, sondern das Schwimmen mitten in der Stadt wieder populär machen wollen.

Wieder? Ja, sagt Anna Zettl, denn der Donaukanal und seine Ufer waren bis in die Zwischenkriegszeit für Erholung und Sportveranstaltungen beliebt. Es gab neben mondänen Hallenbädern auch mehrere Strombäder, etwa beim Schwedenplatz oder an der Rotundenbrücke. Zudem galt die „schräge Wiese“ in der Brigittenau als „Riviera der Arbeiterklasse“. Und einmal im Jahr lockte das Wettschwimmen „Quer durch Wien“ zehntausende Zuseher an beide Kanalufer.
Damals war die Wasserqualität sicher schlechter als heute. Denn seit 2002 wird kein Abwasser mehr in den Kanal geleitet. Deshalb „gehen wir wir zumeist von guter Wasserqualität aus“, sagt Anna Zettl: „Da es laufende Projekte zur Qualitätsmessung gibt, können wir hoffentlich bald mit mehr Daten dazu rechnen.“ Generell sei Hausverstand angebracht, fügt Zettl hinzu: Wenn der Fluß nach Starkregen eine ungewöhnliche Farbe habe oder seltsam rieche, „gehen wir nicht hinein“. Und bei Hochwasser ist das Baden ohnehin behördlich untersagt.
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Inzwischen treiben wir unter der Rossauer Brücke hindurch. Obwohl die Strömung für alle gleich schnell ist, ist der Abstand zwischen den Ersten und den Letzten der Gruppe schon beachtlich groß. Wer oft im Donaukanal schwimmt, kennt seine Eigenschaften und Eigenarten. Weiß, wo es schnell geht, und wo das Wasser fast stillsteht.
„Der Donaukanal ist halt ein Fließgewässer“, sagt Anna Zettl, „da sollte man nicht unvorbereitet schwimmen“. Vor jedem „Stammfisch“, wie das wöchentliche Vereinstreffen heißt, gibt es deshalb am Ufer eine kurze Einführung und nützliche Ratschläge. Zum Beispiel, dass Schwimmschuhe sehr nützlich sind. Oder dass nicht nur Linienschiffe, sondern auch kleinere Motorboote die Schwimmroute kreuzen können.
Hundert Meter im Umkreis von Anlegestellen oder Schleusen ist Schwimmen streng verboten. Weshalb wir nach der Augartenbrücke, kurz vor der Kaiserbadschleuse auf der Seite des 2. Bezirks aus dem Wasser müssen.
Gratulation zur „Kanaltaufe“
In einem Fließgewässer das Ufer zu erreichen, ist nicht ganz einfach. Quer zur Strömung schwimmen ist kaum möglich. Man muss den Ausstieg deshalb schon früh planen. Zum Glück ist der Kanal an dieser Stelle deutlich breiter als weiter oben, und das Wasser fließt deutlich langsamer. Alle Schwimmerinnen und Schwimmer erreichen die Stufen, die hinauf zum Otto-Wagner-Schützenhaus führen. Rund 15 Minuten waren wir im Wasser. Für uns Neulinge gibt es Applaus und Gratulation zur „Kanaltaufe“.

Einige aus der Schwimmgruppe gehen nun tropfnass zurück zum Alsergarten. Andere gehen nur ein Stück mit und lassen sich dann noch einmal den Kanal hinunter treiben. Wieder andere bleiben auf den Stufen sitzen und wärmen sich in der Abendsonne. Unter ihnen ist Anja Mönkemöller, die fast jede Woche im Donaukanal schwimmt. Für sie sei es ein Erlebnis, „mitten durch die Stadt zu treiben“. Außerdem sei der Kanal immer kühl, selbst wenn die Alte Donau schon Badewannentemperatur habe. Allein würde sie jedoch nie im Kanal schwimmen, sagt Mönkemöller: „Das wäre unheimlich. Und in der Gruppe ist es viel lustiger“.
250 schwimmen bei der Parade
Besonders lustig soll es am 30. August werden. Da lädt der Verein zur „Schwimmparade“ im Donaukanal. 250 Personen werden bei der Strandbar Hermann ins Wasser gehen und sich bis zur Rotundenbrücke treiben lassen. Mitschwimmen ist leider nicht mehr möglich, die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Aber man kann vom Ufer aus zuschauen, und es wird ein Rahmenprogramm mit Musik geboten. „Wir wollen den Kanal mit der Parade in die öffentliche Wahrnehmung holen“, sagt Anna Zettl: „Denn der Donaukanal ist zum Schwimmen da. Nicht nur für Schiffe.“
Link: https://schwimmvereindonaukanal.org
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.