Auf Suche nach der Nachbarschaft
Die Anglistin Agnes Kriz, 36, leitet das International Office am FH Technikum Wien am Höchststädtplatz und erkundet die Brigittenau zu Fuß.

Ich muss gestehen: Bevor ich hier zu arbeiten begonnen habe, war der 20. Bezirk für mich ein unbeschriebenes Blatt, terra incognita. Ich bin wohl gelegentlich durchgefahren, aber nie stehen geblieben. Heute ist das anders, die Brigittenau ist mir inzwischen wirklich ans Herz gewachsen. Seit ich an der „FH Technikum Wien“ arbeite, verbringe ich einen beträchtlichen Teil meiner Zeit hier am Höchstädtplatz, von dem unsere Hochschule nicht mehr wegzudenken ist.
Sieben Jahre an der Fachhochschule
Während ich an meiner zweiten Masterarbeit saß, habe ich 2013 einen Nebenjob gesucht und im Studiengang „Telecommunications and Internet Technologies“ als Verwaltungsassistentin zu arbeiten begonnen. Eigentlich war das nur als Zwischenstopp gedacht. Aber dann hat es mich ins International Office der Fachhochschule verschlagen, das ich nun seit sieben Jahren auch leite.
Früher bin ich mit den Öffis von und zu meiner Wohnung im 18. Bezirk gependelt. In der Pandemie habe ich mir aber angewöhnt, den Arbeitstag so oft es geht mit einem einstündigen Spaziergang durch den 20. Bezirk zu beschließen. So sind meine Tage einerseits von der Dynamik einer international bestens vernetzten Bildungsinstitution und andererseits von der eines besonders lebendigen Bezirks geprägt.
Die dritte Mission
Der vergangene Mai stand im Zeichen unser zehnten International Week. Unter dem Motto Change our tomorrow haben wir dabei insbesondere die transformative Kraft von sogenannten „Third Mission“-Aktivitäten erkundet. Neben Forschung und Lehre ist dieser Aspekt wesentlich für unser Tun: der Austausch mit der Gesellschaft und die Verwertbarkeit unserer Arbeit für die Wirtschaft.
Um dieses Feld ein paar Tage lang konzentriert zu beackern, haben wir 30 Kolleg*innen aus aller Welt eingeladen, darüber nachzudenken, wie unser Engagement über den Campus hinausreichen kann. Am Ende der Woche war eines sicher: Unser tägliches Tun gehört im lokalen Kontext verankert und um das zu tun, braucht es das Verständnis unserer unmittelbaren Umgebung.
Mit dem Stadtforscher durch die Brigittenau
Um neben unserer internationalen Vernetzung auch unsere Beziehungen mit der Brigittenau weiter zu stärken, haben wir im Rahmen dieser International Week unseren Gästen, unseren Studierenden und unseren Lehrenden zwei Stadtspaziergänge durch den Bezirk angeboten.
In der ersten, südlichen Runde hat uns der Stadtforscher Eugene Quinn erst zum Augarten, zu Radio Orange, zu den Lokalen am Donaukanal geführt. Und dann weiter zur MA 35 auf der Dresdner Straße, die für Einwanderung und Staatsbürgerschaft zuständig ist, und zum ehemaligen Männerheim in der Meldemannstraße, wo Adolf Hitler in seinen Wiener Jahren gemeldet war.
Die zweite Runde führte von den beiden Löwenfiguren an der nördlichsten Donaukanalbrücke bis zurück hier in unsere Nachbarschaft, zur Millenium City, der wohl berühmtesten Attraktion des Bezirks.

Meine Kolleg*innen und mich zieht es in der Mittagspause oft und gern in ein kleineres Shoppingparadies. Seit einiger Zeit ist unsere Mensa hier im Haus wegen eines Pächterwechsels verwaist. Die Lücke füllt nun ein in der Brigittapassage angesiedelter Imbiss namens Bauernschmankerl – für viele ein absolutes Highlight wegen seines so deftigen wie günstigen Mittagstellers.
Großfamilie aus Krems
Dass es mich ausgerechnet an eine technische Fachhochschule verschlagen hat, war mir nicht in die Wiege gelegt. Ich stamme aus Krems an der Donau, bin dort mit drei Geschwistern aufgewachsen. Wir sind allesamt von unseren weitgereisten Eltern sehr weltoffen geprägt. Mein kleiner Bruder lebt derzeit in Simbabwe, meine Schwester war lange in Brüssel, der große Bruder ist weltweit unterwegs.
Weil ich in der Unterstufe in Englisch wirklich schlecht war, hat man mich mit 13 für einen Monat zu einer Gastfamilie nach England verschickt. Das hat sich auf lange Sicht gleich doppelt rentiert.
Praktikum in Washington
Zum einen habe ich mich mit großer Begeisterung für das Studium Anglistik & Amerikanistik sowie Deutsche Philologie entschieden und bin darüber auch an einen Praktikumsplatz an der Österreichischen Botschaft in Washington gekommen. Schließlich habe ich während Covid im Urlaub meine damalige Gastfamilie wieder besucht. Und dort meinen jetzigen Verlobten kennengelernt.
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
(www.ernstschmiederer.com)
Link: www.technikum-wien.at
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Ernst Schmiederer ist Journalist, Verleger, Buchautor und Archivar. Er arbeitete für profil, die Zeit, das Schweizer Magazin „Facts“ und andere Medien. Er lebt in der Leopoldstadt und unterrichtet unter anderem an der Sigmund-Freud-Privatuniversität.