Was wird aus der AUVA-Zentrale: Denkmal, Abriss oder Luxuswohnungen?
Seit mehr als vier Jahren steht das markante Gebäude an der Adalbert-Stifter-Straße leer. Im Herbst sollen Denkmalamt und Gemeinderat entscheiden, wie es nun weitergeht.
Text: Naz Küçüktekin, Foto: Chris Mavrič

Wenn man es nicht wüsste, könnte man einfach vorbeigehen. Es für ein weiteres großes Bürogebäude halten, das in der Stadt sein stilles Dasein fristet. Doch wer näher hinschaut, erkennt es: das wild wuchernde Gras am Sockel, den Efeu, der an der Fassade emporzieht, die blanke Leere hinter den Fenstern. Keine Bewegung. Keine Menschen. Die Kulisse würde sich perfekt für einen dystopischen Streifen eignen. Der Film, der sich hier abspielt, ist allerdings ein anderer.
Seit vier Jahren steht das riesige Hochhaus der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) in der Adalbert-Stifter-Straße leer – mitten im 20. Bezirk. Die Geschichte begann mit einem Auszug. Im Frühjahr 2021 verlagerte die AUVA ihre Zentrale in die Twin Tower am Wienerberg. Grund waren laut eigenen Angaben bauliche Mängel, hoher Energieverbrauch und kostspielige Brandschutzauflagen.
Leerstand kostet jährlich 1,5 Millionen
Seither kostet das leerstehende Haus rund 1,5 Millionen Euro pro Jahr – für Kontrolle, Betrieb und Verwaltung. Sanieren wolle man es nicht, heißt es. Zu teuer, zu ineffizient, nicht zumutbar. Das Gebäude, argumentiert die AUVA, sei statisch instabil, energetisch veraltet und wirtschaftlich untragbar. Eine Sanierung würde laut Gutachten mindestens 150 Millionen Euro verschlingen. Das sei nicht vertretbar, schließlich verwalte man „kein ‚eigenes‘ Vermögen, sondern Beiträge unserer Versicherten, mit welchen wir dem gesetzlichen Auftrag entsprechend sparsam, zweckmäßig und wirtschaftlich umzugehen haben“. Die AUVA betont auf Anfrage: „Unsere Aufgabe ist die Prävention, Unfallheilbehandlung, Rehabilitation und finanzielle Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, nicht der Erhalt unwirtschaftlicher Gebäude.“

Für das Bundesdenkmalamt hingegen ist das 1976 eröffnete Zentrale ein bedeutendes Bauwerk der Nachkriegsmoderne. Es wurde von Architekt Kurt Hlaweniczka konzipiert, konstruktiv umgesetzt von Bauingenieur Kurt Koss und ergänzt durch eine Außenskulptur von Oskar Höfinger. Ein Ensemble, das Architekturgeschichte schreibe, so das Denkmalamt. 2023 wurde ein Unterschutzstellungsverfahren eingeleitet, der Entscheid steht noch aus. Von Eigentümerseite seien mehrere Gutachten vorgelegt worden. Das Bundesdenkmalamt muss nun prüfen und bewerten.
Der Rechnungshof kritisiert
Auch die Vorgeschichte der Absiedelung sorgt für Kritik. Der Rechnungshof monierte in einem Bericht, dass die AUVA keine belastbaren Berechnungen zu Alternativen vorgenommen habe. Brandschutzmängel seien nicht akut gewesen, wirtschaftliche Optionen nicht geprüft.
Für KPÖ-Bezirksrat Matthias Kaltenböck steht fest: „Man wollte das Grundstück rasch an einen privaten Investor verkaufen.“ Seine Befürchtung aber nun: Dass das Gebäude viele weitere Jahre leersteht.
Ein Verkauf ist inzwischen zwar nicht mehr aktuell, aber auch nicht vom Tisch. Die AUVA betont, dass eine Veräußerung nur zum Marktwert möglich sei. Gemeinnützige Träger oder die Stadt Wien selbst können da jedoch kaum mithalten.

Parallel dazu läuft das stadtplanerische Verfahren. Ein neuer Flächenwidmungsplan liegt vor: Er sieht vor, dass künftig bis zu 24.000 Quadratmeter Wohnnutzung möglich sein sollen, ergänzt um Geschäftsflächen im Erdgeschoss. Auch eine bauliche Aufstockung auf bis zu 74 Meter ist vorgesehen.
Freibrief für Luxuswohnungen?
Im ersten Entwurf von Ende 2024 war Wohnnutzung noch gar nicht enthalten – sie wurde erst in einer überarbeiteten Fassung ergänzt. Verpflichtende Anteile für geförderten Wohnbau fehlen jedoch. Grund dafür ist eine interne Planungsregelung der Stadt, wonach auf bereits gewidmetem Bauland keine verpflichtende Widmung für geförderten Wohnbau vorgesehen werden kann.
Für den KPÖ-Politiker Kaltenböck ist das ein „Freibrief für Luxuswohnungen“. Er kritisiert: „Die SPÖ-NEOS-Stadtregierung weigert sich, eine Nutzung für leistbare Wohnungen überhaupt möglich zu machen, und provoziert durch ihre Politik eine weitere leerstehende Bauruine.“ Dass die Stadt sich auf selbst auferlegte Hürden berufe, sei Ausdruck politischer Mutlosigkeit. Dabei sei gerade im 20. Bezirk leistbarer Wohnraum wichtig. “Und nun ist die Gefahr, dass das Areal Jahre lang leersteht”, so Kaltenböck.
„No-Go“ für Bezirksvorstehung
Die Bezirksvertretung Brigittenau hat den aktuellen Flächenwidmungsentwurf in der letzten Bezirksvertretrungssitzung geschlossen abgelehnt. Bezirksvorsteherin Christine Dubravac-Widholm (SPÖ) spricht auf Anfrage von einem „No-Go“. An diesem Standort fehle jede soziale Infrastruktur, für so viel Wohnbau – insbesondere weil sozialer oder geförderter Wohnbau dort nicht mehr verortbar sei. “Daher verstehe ich die einstimmige Ablehnung”, betont sie.
Im Herbst soll die neue Flächenwidmung im Gemeinderat beschlossen werden. Auch das Bundesdenkmalamt könnte bis dahin zu einer Entscheidung kommen. Die Optionen reichen von Abriss über Sanierung bis hin zu weiterem Leerstand.
Naz Küçüktekin hat journalistische Erfahrungen unter anderem bei Kurier, Profil und Biber gesammelt. Sie lebt in der Brigittenau hat mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Wiener Journalismus-Gesundheitspreis.
Christopher Mavrič arbeitet als Fotograf für den „Falter“ und viele andere Medien. Sein Fotoband „Zwischen Brücken“ mit Porträts und Ansichten der Brigittenau erschien 2020 in der FOTOHOF-Edition. Er ist Lehrbeauftragter für analoge Fotografie an der Fotoakademie Graz.