Brigittenau: Befristete Mieten für 3.500 Euro
In den kommenden Wochen soll das auffallend bunte Hochhaus in der Dresdner Straße fertiggestellt werden. Doch darin zu wohnen werden sich nur die Wenigsten leisten können.
Text: Bernhard Odehnal

Das hier wäre eben „Luxus für alle“, sagt der Vertreter der Immobilienfirma. Und auf den ersten Blick wirkt es so, als würde er nicht übertreiben. Wir stehen im 28. Stock des neuen Hochhauses an der Dresdner Straße. Eigentlich waren hier Penthousewohnungen geplant. Der Bauträger entschied dann anders und richtete Gemeinschaftsräume ein: Eine Lounge, ein kleines Fitnessstudio, ein Yogaraum, ein Coworking Space, ein Podcast-Studio, Terrassen.
Diese Räume können alle Mieterinnen und Mieter nutzen. Und aus dem vorletzten Stockwerk hat man einen fantastischen Rundblick über Wien. Tatsächlich also „Luxus für alle“, so wie es der Architekt Harry Glück beim Bau der Wohnhausanlage Alt Erlaa in den 1970er Jahren propagierte?
Eigentümer ist ein US-Immobilienkonzern
Mit seiner bunten Fassade in rot, gelb, grün, blau hat das Hochhaus an der Adresse Dresdner Straße 90 das Zeug zum Leuchtturm-Projekt in der Brigittenau. Eigentümer ist der US-amerikanische Immobilienkonzern “Greystar“. Er bewirbt es unter dem Namen „Momento living“. Die Fertigstellung ist im September geplant. Die Architektur-Bildungsfirma „Überbau“ bot aber im Frühsommer eine Führung an, bei der Architekten, Statiker und Bauträger das Projekt erklärten und vom Keller bis zur Dachterrasse durch das Haus führten.
82 Meter hoch ist das Haus, die Wohnungsgrößen reichen von Studios mit 32 bis zu Familienwohnungen mit 105 Quadratmeter. Alle 382 Wohnungen haben Balkone oder Terrassen. 120 Wohnungen in den unteren Stockwerken sind für Menschen reserviert, die für sechs bis zwölf Monate zum Arbeiten, Forschen oder Studieren nach Wien kommen und voll eingerichtete Unterkünfte mit Service wie im Hotel suchen. Die Wohnungen darüber werden normal vermietet – befristet auf drei Jahre.

Wobei der Ausdruck „normal“ hier kaum passt. Denn die Mietpreise, die Greystar verlangt, passen eher in die Innenstadt als in den 20. Bezirk. Die größten Wohnungen mit 105 Quadratmeter und 4 Zimmer kosten 3.500 Euro. Pro Monat. Halb so große Wohnungen sind für 1.700 bis 1.900 Euro zu haben. Die kleinen Studios (32 Quadratmeter) gibt es „schon“ um monatlich 1.200 Euro.
Als „durchdachtes Wohnerlebnis, bei dem Individualität und Gemeinschaft im Einklang stehen“ bewirbt Greystar das Haus auf seiner Webseite. Zum Vergleich: Im Nordbahnviertel wurden im Hochhaus mit dem Spitznamen „Schneewittchen“ 100-Quadratmeter-Wohnungen für etwa 2.000 Euro vermietet. Unbefristet.
Glaub Greystar wirklich, die Wohnungen zu diesen Preisen vermieten zu können?
In ein paar Jahren wird hier, an der Ecke Traisengasse und Dresdner Straße, das Eingangstor zum neuen Stadtteil auf dem Gelände des Nordwestbahnhofs entstehen. Die Straßenbahnlinie 12 wird hier aus dem Nordwestbahngebiet kommend in die Dresdner Straße einbiegen. Wallensteinstraße und Wallensteinplatz werden dann in Fußdistanz liegen.
Wenig attraktive Ecke der Brigittenau
Vorerst aber steht das Hochhaus an einer stark befahrenen und unattraktiven Straße mit wenigen Geschäften und keiner Gastronomie. Wer wird hier eine so hohe Miete bezahlen? Die Pressesprecherin von Greystar sitzt in Frankfurt und fragt, ob dieser Artikel erst im September erscheinen könnte? Das würde zur Fertigstellung des Hauses passen. Die Fragen von „Zwischenbrücken“ nach den Mietpreisen leitet sie weiter an eine PR-Agentur. Die hat bis Redaktionsschluss keine Antworten geschickt.
Luxus in der Brigittenau: So war das ursprünglich nicht geplant. Im städtebaulichen Leitbild von 2014 werden die beiden Grundstücke Dresdner Straße 86 und 90 als Einheit betrachtet, die Häuser sollten von den Wohnbaufirmen „Migra“ und „Arwag“ gebaut werden. Und zwar mit einem „hohen Anteil an geförderten Wohnungen“ für „qualitätsvolles und leistbares Wohnen“, so steht es im Leitbild.
„400 Wohneinheiten, vorwiegend im sozialen Wohnbau“
(Bezirksvorsteher Hannes Derfler 2016)
Zwei Jahre danach 2016 stellten der damalige Bezirksvorsteher der Brigittenau, Hannes Derfler, gemeinsam mit dem grünen Gemeinderat Christoph Chorherr das Siegerprojekt für die Dresdner Straße vor. Auf den Renderings sieht das Hochhaus schon so bunt aus, wie es tatsächlich gebaut wurde. Und Derfler versprach „400 Wohneinheiten, vorwiegend im sozialen Wohnbau“.
Sowohl „Migra“ als auch „Arwag“ stehen mehrheitlich im Besitz der Wien Holding, also der Stadt Wien. „Leistbares Wohnen“ wurde allerdings nur an der Adresse Dresdner Straße 86 verwirklicht. Denn dort baute die Migra 136 geförderte Wohnungen.
Wertsteigerung von 28 auf 180 Millionen Euro
Das Baufeld mit der Hausnummer 90 verkaufte die Arwag im Jahr 2018 um 28 Millionen Euro an die private „S+B Gruppe“. Warum? „Aus heutiger Sicht können wir keine verlässliche Aussage zu den Beweggründen des Verkaufs im Jahr 2018 treffen”, antwortet die Arwag.
Die S+B Gruppe ließ das bunte Hochhaus fertig planen, verkaufte es aber noch vor Baubeginn weiter an Greystar – laut Medienberichten um 180 Millionen Euro. Während die gemeindeeigene Wohnbaufirma also billig verkaufte, streifte der private Bauträger einen satten Gewinn ein. Statt leistbaren Wohnungen werden nun servicierte Apartments und „Premium-Wohnen“ angeboten.

In der Brigittenauer Bezirksvertretung hat die KPÖ das bunte Hochhaus zum Thema gemacht. Ihr Klubvorsitzender Matthias Kaltenböck spricht von einem „skandalösen Flächenverkauf durch stadteigene Unternehmen“ und einem „bewachten Luxusghetto“ in einem der ärmsten Bezirke Wiens. Er warnt, dass Momento nur Vorgeschmack sei auf das, „was der Bevölkerung am Nordwestbahnhof droht“.
Verträge wurden eingehalten
Warum kaufte die Gemeinde zuerst das Grundstück, verzichtete jedoch darauf, das Wohnprojekt selbst zu entwickeln? Und warum wurden deutlich weniger geförderte Wohnungen gebaut, als mehrmals angekündigt?
Die für Stadtplanung zuständige Magistratsabteilung 21A antwortet, dass sich die beiden Vertragspartner bei dem Projekt auf einen Wert von einem Drittel leitbaren Wohnraum geeinigt hätten: „Der 1/3 Anteil wurde für das Gesamtvorhaben eingehalten, da auf Nummer 84 der gesamte Anteil an leistbarem Wohnraum entstanden ist.” Außerdem habe sich der private Bauträger verpflichtet, Kostenbeiträge für die Erweiterung einer Pflichtschule und die Herstellung umliegender Straßen zu leisten.
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.