Im grünen Prater führt Martina Michelfeit einen Betrieb mit über 30 Kutschpferden. Sie verteidigt ihr Gewerbe gegen Vorurteile, Bürokratie und übereifrige Tierschützer.
Text: Bernhard Odehnal
Ronja ist wieder einmal schlecht gelaunt. Als ihr Pavarotti zu nahe kommt, wird sie laut und schlägt aus. Kurz entsteht Unruhe im Hof, bis Martina Michelfeit einschreitet. Mit knappen Worten weist sie den Stallburschen an, den Wallach Pavarotti am Strick zu nehmen und in großem Abstand zur Stute Ronja zu seiner Kutsche zu führen.
Kulturgut oder Tierquälerei?
Sofort entspannt sich die Lage wieder. Die Arbeit geht weiter wie gewohnt. Pferde werden geputzt, bekommen ihr Geschirr umgehängt, werden jeweils zu zweit vor die Kutschen gespannt. Martina Michelfeit macht einen letzten Check, kontrolliert die Riemen, fragt ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Kutschböcken: Habt ihr eure Platzkarten mit? Dann fahren sie los, vorbei am Lusthaus, über die Hauptallee und die Praterstraße, zu den Standplätzen der Fiaker: beim Stephansdom, neben der Albertina oder auf dem Michaelerplatz.
Die Wiener Fiaker. In der Stadt gibt es kaum jemanden, der keine Meinung zu ihnen hat. Die einen sehen sie als historische Institution und Kulturgut, andere als Ärgernis im dichten Verkehr der Innenstadt. Regelmäßig mit der ersten Hitzewelle kommt die Debatte auf, dass die armen Pferde unter der Hitze besonders leiden würden. Auch dass die Tiere im Autoverkehr mitgehen müssen, verdammen Tierschutzvereine als reine Quälerei. Sie würden die Fiakerei in Wien am liebsten ganz verbieten.
Dabei laufe gerade die vierte Studie, sagt Martina Michelfeit: „Und auch die wird beweisen, dass unseren Tieren die Hitze und der Verkehr nichts ausmachen. Das ist eine Frage der Ausbildung. Unsere Pferde werden zu coolen Socken.“ Michelfeit verweist auch auf regelmäßige Bluttests: Gut eingearbeitete Fiakerpferde zeigten beim Stresshormon Cortisol „ganz normale Werte“.
Stallungen in der alten Fabrik
Michelfeit gehörte zu den ersten Frauen, die selbst Fiaker fuhren. Mittlerweile hat die gebürtige Leopoldstädterin ihren eigenen Fiakerbetrieb mit mehreren Kutschen, einem Dutzend Angestellten und 32 Pferden und einem Pony. Und das an einem ganz speziellen, verzauberten Ort.
Am Rand der Praterauen, auf Höhe des Lusthauses, steht eine alte Fabrik, in der früher feuerfeste Steine, sogenannte Schamotte (oder auch: Chamotte) hergestellt wurden. Ihren Betrieb stellte die Schamottfabrik in den 1960er Jahren ein. Doch die Produktionshalle und der charakteristische Schornstein blieben erhalten. In der Halle konnte Michelfeit als neue Besitzerin vor gut zwei Jahrzehnten Pferdeställe einrichten. Hinzu kamen mehrere Koppeln auf den Wiesen hinter der Fabrik, Garagen für die Kutschen und eine kleine Reitbahn.

Auf der Bahn bietet Michelfeit Arbeit mit Therapiepferden für Kinder mit Behinderungen an. Dass sie mit diesen unterschiedlichen Tätigkeiten „so ein Mischmasch“ habe, mache sie zu etwas Besonderem innerhalb der Fiakerei, sagt die Fiakerin: „Deshalb sage ich immer einfach: Ich mach in Pferden.“
Häufig kommen auch Schulklassen zu Besuch in die Schamottfabrik. Von der U-Bahn-Station Donaumarina sind es nur 6 Minuten mit den Buslinien 77 A oder 79 A. Und doch ist es eine Fahrt, die weit weg aus dem städtischen Treiben führt – in eine ländliche Welt mit Pferden, Katzen, Hasen und zwei Schweinen.
Heimlicher Pferdekauf
Dabei kommt die heute 55-jährige Michelfeit keineswegs vom Land. Sie wuchs mitten in der Leopoldstadt auf, im dichtverbauten Grätzel zwischen Prater- und Taborstraße. Weil ihre Eltern so gar nicht mit dem „Pferdevirus infiziert“ waren, kaufte sie ihr erstes Pferd heimlich, mit dem Geld der Oma. Was sie nicht bedachte: Dass nicht nur die Anschaffung, sondern auch der Unterhalt so eines Tieres ziemlich viel kostet. Also musste die damalige Studentin der Soziologie arbeiten gehen. Und weil sie schon ein Fiakerperd gekauft hatte, war es naheliegend, dass sie auf den Kutschbock stieg. So kam Michelfeit zur Fiakerei – und wollte nie wieder weg.
Damals, Anfang der 1990er Jahre, war das Fiaker-Gewerbe noch ziemlich ungeregelt. Es gab keine Prüfungen, keine Platzkarten für die Standplätze. Es gab auch keine Kritik an der Pferdehaltung. Die Fiaker galten als Kulturgut.
Totales Fiakerverbot in Wien?
Heute lanciert vor allem der „Verein gegen Tierfabriken“ VGT immer wieder Kampagnen gegen die Fiaker in Wien, Salzburg und Innsbruck. Er fordert ein totales Verbot von Fiakerfuhrwerken in den Städten. Michelfeit sieht das als reine PR-Aktion. Die selbsternannten Tierschützer würden mit den Kampagnen gegen Fiaker sehr viel Spendengeld lukrieren. Dem Vorwurf der Tierquälerei entgegnet sie: „Unsere Pferde sind ja viel behüteter als jedes Reitpferd, das nur eine Stunde am Tag geritten wird. Wir sind ständig bei den Tieren.“
Viele der Pferde, die heute im Stall der Schamottfabrik stehen, hätten eigentlich schon zu Wurst verarbeitet werden sollen. Sie kamen aus dem Reit- oder Trabrennsport und waren praktisch schon auf dem Weg zum Schlachthof. „Wir haben sie übernommen, zu Fiakerpferden ausgebildet und ihnen ein zweites Leben ermöglicht“, sagt Michelfeit.

Für die Menschen auf den Kutschböcken ist die Fiakerei allerdings deutlich härter geworden. Seit die Stadt Wien das Gewerbe kontrolliere, gebe es viel mehr Bürokratie, klagt Michelfeit. Dazu komme der Druck der Immobilienbranche, die fürchtet, dass die Bodenbeläge in den schönen neuen Begegnungszonen durch Pferdehufe beschädigt werden. Weshalb in der Herrengasse nun das erste Fahrverbotschild für Fiaker steht.
Migranten und Antisemiten
Außerdem wächst die Konkurrenz zwischen den einzelnen Betrieben. Eine eingeschworene Gemeinschaft sind die Fiaker schon lange nicht mehr. Aber vielleicht waren sie das nicht einmal in der Blütezeit, als es in Wien an die 1.000 Fuhrwerke gab. Heute gibt es rund 30 Betriebe mit 180 Konzessionen. Darunter sind „Freundfirmen, Feindfirmen und solche, mit denen ich gar nicht red‘“, zitiert Michelfeit einen alten Kollegen.
Einer ihrer eigenen Kutscher kommt aus einer jüdischen Familie im Burgenland und sagt, dass er sich von anderen Kutschern am Standplatz Stephansplatz oft antisemitische Sprüche habe anhören müssen. Seine Chefin bestätigt das. „Die Leute auf dem Kutschbock sind halt ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Stadt“, sagt sie, „und da gibt es halt auch Antisemiten. Auf der anderen Seite haben wir mittlerweile auch Fiaker mit migrantischem Hintergrund: aus der Türkei und jetzt sogar jemanden aus Syrien.“

Michelfeit selbst sitzt heute nur mehr selten auf dem Kutschbock. Lieber reitet sie in den Praterauen aus. Alleine, für kurze Momente der Entspannung. Pferde seien eigentlich einfach zu handeln, sagt Michelfeit. „Die brauchen Struktur, dann sind sie zufrieden. Meine menschlichen Mitarbeiter brauchen viel mehr Aufmerksamkeit.“ Auch bei der alten Fabrik gibt es ständig etwas zu tun. Gemeinsam mit ihrem Ex-Mann hält sie das Gebäude in Schuss. Zuletzt wurde eine neue Heizung eingebaut. Als nächstes steht die Sanierung des Dachs auf dem Programm.
Privilegiertes Leben in der Schamottfabrik
Die Fiakerin sieht, wie sich ihr Bezirk verändert. „Meine Leopoldstadt ist des nimmer“, sagt sie. Zum Beispiel die Trabrennstraße in der Krieau: „Früher war das der billigste Strich, heute stehen dort die teuersten Wohnungen“. Seit sie die Schamottfabrik vor 23 Jahren übernahm, drohte immer wieder mal deren Abbruch. Etwa, weil die Stadt die Straße zum Hafen verbreitern wollte. Aber das ist vom Tisch. Der Boden gehört der Gemeinde Wien und ist als Sportfläche und Grünland gewidmet.
Martina Michelfeit geht deshalb davon aus, „dass ich meine nächsten Jahre hier verbringen werde“. Und sie empfindet das als großes Privileg: In jenem Bezirk, in dem sie aufgewachsen ist, „kann ich heute so leben, wie ich es immer wollte.“
Bernhard Odehnal lernte Journalismus bei der Stadtzeitung „Falter“ und war danach als Korrespondent und Reporter für österreichische und Schweizer Medien tätig. 2025 kehrt er mit der Gründung von „Zwischenbrücken“ in den Lokaljournalismus zurück. Er lebt in der Leopoldstadt.